Russland

Auschwitz-Gedenken ohne Putin

Ihr genaues Alter kennt Tatjana Fomina nicht. Vielleicht sieben Jahre war die Tochter eines Kolchosvorsitzenden im belarussischen Gebiet Witebsk alt, als sie mit ansehen musste, wie ihr Vater lebendig verbrannt wurde.

Als Vergeltung für einen Partisanenangriff trieben die deutschen Besatzer im Mai 1943 sämtliche männlichen Bewohner von Fominas Dorf in einer Scheune zusammen, übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Tatjana Fomina deportierten die Nazis nach Auschwitz – als eine von mindestens 1,3 Millionen Menschen. 1,1 Millionen von ihnen wurden ermordet, die Mehrzahl in den Gaskammern, andere starben vor Hunger und Erschöpfung bei der Zwangsarbeit.


Die Ukraine-Krise überschattet das Gedenken

Tatjana Fomina hat überlebt. Heute wohnt sie in Moskau und widmet ihre Zeit und Kraft der Erinnerung an den Holocaust. Nun ist die bald 80-Jährige zurückgekehrt nach Polen, gemeinsam mit rund 300 weiteren ehemaligen Insassen des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers. Sie ist auch am Dienstag bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz dabei, die vor allen den Überlebenden gewidmet ist.

Zum vielleicht letzten Mal sollte die Welt ihre Geschichte aus dem Mund von Zeitzeugen vernehmen: Als „Warnung vor der menschlichen Fähigkeit zu außerordentlicher Erniedrigung, Verachtung und Völkermord“, wie es Piotr Cywinski, Direktor der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, formuliert.

Doch die Ukraine-Krise überschattet das Gedenken. Polen hat Russlands Präsident Wladimir Putin nicht zur Veranstaltung eingeladen - andere Staatsoberhäupter erhielten allerdings auch keine persönliche Einladung. Inwieweit dies einen bewussten Schachzug der polnischen Diplomatie darstellte, um die Anreise Putins zu verhindern, bleibt umstritten. Der polnische Außenminister Grzegorz Schetyna sorgte zudem mit einem Radio-Interview für einen Eklat, in dem er die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ukrainischen und nicht sowjetischen Soldaten der Roten Armee zuschrieb. Das russische Außenministerium verurteilte diese „Verhöhnung der Geschichte“ scharf.


„Faktisch eine Rechtfertigung des Nazismus“

Statt wie vor zehn Jahren selbst in Auschwitz zu sprechen, gedachte Putin bei einer Parallelveranstaltung in Moskau der Opfer. Am Vorabend des 27. Januar nannte der russische Präsident in einer schriftlichen Botschaft den Holocaust „eine der tragischsten und schändlichsten Seiten in der Geschichte der Menschheit.“ Millionen unschuldiger Menschen seien „durch die Hölle der Todeslager“ gegangen.

Die Rote Armee sei es gewesen, die diesen Gräueltaten ein Ende bereitete. Damit schlug Putin, ohne die Ukraine beim Namen zu nennen, den Bogen zur Gegenwart: „Wir müssen klar verstehen, dass jegliche Versuche, die Geschichte umzuschreiben, den Beitrag unseres Landes zum Großen Sieg zu revidieren, faktisch eine Rechtfertigung des Nazismus bedeutet.“

Die russischen Auschwitz-Überlebenden, die sich im Vorabend der Gedenkfeier in Krakau zu einem Empfang gekommen sind, ärgern sich über die westliche Außenpolitik. „Wir ehemaligen Häftlinge verstehen einander“, sagt der mit Tatjana Fomina aus Russland angereiste KZ-Überlebende Jewegeni Kowaljow. „So wie sich einfache Arbeiter immer und überall auf der Welt verstehen.“ Doch auf die westliche Politik ist Kowaljow nicht gut zu sprechen: „Russland wird bedrängt. Nun wird es im Westen sogar so dargestellt, als ob nicht Russland, sondern die Ukraine und Auschwitz befreit hätte.“


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