Griechenland

Griechen zwischen Wut und Skepsis

Ioanna hat seit Jahren keine Wahlkampfveranstaltung mehr besucht. Erst seit der Krise interessiert sich die 52-Jährige wieder für Politik. Schüchtern betritt sie den kleinen Raum in einem neoklassischen Haus im Zentrum Athens, in dem Kandidaten des oppositionellen Linksbündnisses Syriza ihr Programm vorstellen.

Ioanna ist seit mehr als einem Jahr arbeitslos und lebt von ihren kleinen Ersparnissen. Sie hofft auf ein Ende der harten Sparpolitik, um wieder menschenwürdig leben zu können. „Ich kaufe nur das Notwendigste. Mein Kühlschrank ist leer, und ich kann es mir nicht leisten, meine Wohnung zu heizen“, sagt Ioanna. Die Griechin hat sich entschlossen, die Linken unter ihrem charismatischen Parteichef Alexis Tsipras zu wählen, weil sie sich von dem bisherigen Sparkurs der Athener Regierung verabschieden möchten, einen Schuldenerlass verlangen wollen und ein umfassendes Sozialprogramm versprechen.


Auch andere Neulinge spielen eine Schlüsselrolle

Der Schuldenberg Griechenlands ist inzwischen auf einen höheren Stand als zu Beginn der Krise vor fünf Jahren angestiegen – auf über 170 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei fast 26 Prozent. Laut einer Studie des Haushaltsbüros des griechischen Parlaments leben 2,5 Millionen Griechen unterhalb der Armutsgrenze. Weitere 3,8 Millionen sind demnach von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, zusammengenommen knapp 60 Prozent der Bevölkerung.

Bei Umfragen liegt Syriza mit mehr als 30 Prozent auf Platz eins. Die Partei hat einen Vorsprung von drei bis sieben Prozentpunkten vor der konservativen Regierungspartei Nea Demokratia. Die sozialistische PASOK dagegen, die zusammen mit Nea Demokratia die jetzige Regierung stellt, schafft bei den Umfragen weniger als fünf Prozent.

Eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung, falls die Linken keine Mehrheit bekommen, könnte die neu gegründete linksliberale Partei To Potami spielen, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den dritten Platz mit der kommunistischen KKE und der neofaschistischen Partei Goldene Morgenröte liefert.


Angst vor leeren Bankautomaten

Die Tatsache, dass die konservative Nea Demokratia es noch auf die zweite Stelle bei den Umfragen schafft, hat mit der Angst vor den möglichen Folgen eines Wahlsiegs der Linken, nämlich geschlossenen Bankautomaten und dem Ausschluss aus der Eurozone oder gar der Europäischen Union zu tun. „Solch ein Szenario fürchten vor allem diejenigen, die sich noch weit genug vom Abgrund befinden, aber viel zu verlieren haben“, sagt der bekannte Publizist Stavros Lygeros.

Der 70-jährige Rentner Giorgos gehört zu dieser Gruppe. Vor vier Jahren, als mit Beginn der Krise seine Rente von 1.300 auf 800 Euro gekürzt wurde, zog er bei seiner 40-jährigen Tochter ein. Die wertvollen Möbel und Bilder an den Wänden zeigen, dass es der Familie einst gut ging. Nun hat sich ihr Einkommen halbiert. „Alles, was die Linken versprechen, wirkt unrealistisch“, sagt er mit besorgtem Blick.

Manchmal denkt er daran, dass er eines Tages seine Rente nicht mehr abheben kann, und sein Herz schlägt dann schneller. Medienberichten zufolge haben bereits zwei große griechische Banken bei der Zentralbank Griechenlands Antrag auf Nothilfe in Höhe von fünf Milliarden Euro gestellt, was in Athen Alarm auslöste.


Lieber kein Konflikt mit der EU

Seine Tochter Eleni hat in der Vergangenheit ebenfalls die Konservativen gewählt, ist aber enttäuscht. Die Beamtin glaubt nicht, dass Syriza es schaffen wird. „Richtig wäre es, wenn alle Parteien zusammenarbeiten würden, um Wege aus der Krise zu finden“, sagt sie.

Die Rede auf der Syriza-Wahlkampfveranstaltung geht zu Ende. Auch Ioanna hat keine großen Erwartungen. Es würde ihr schon reichen, wenn eine Syriza-Regierung den Bürgern das Überleben gewährleisten und Arbeitsplätze schaffen würde. Einen Konflikt Griechenlands mit den EU-Partnern wünscht sie sich nicht. „Ich kenne kein überschuldetes und völlig abhängiges Land, das sich mit den Mächtigen angelegt hat und dabei gewonnen hat“, sagt sie.


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