Ölrausch im Kaukasus-BP-Konsortium erhält Kreditzusage für umstrittenen Pipeline-Bau
Ölrausch im Kaukasus
BP-Konsortium erhält Kreditzusage für umstrittenen Pipeline-Bau
Von Jens Mühling (E-Mail: jens.muehling@gmx.de, Tel: +7 095 248 2330)
Moskau (n-ost) Der Bau einer Erdöl-Pipeline von Baku über Tiflis bis an die türkische Mittelmeerküste schreitet trotz des Machtwechsels in Georgien stetig voran. Für Aserbajdschan bedeutet das Projekt eine Emanzipation von Russland, für die westlichen Abnehmerländer stärkere Unabhängigkeit von den OPEC-Staaten. Obwohl Organisationen wie der World Wildlife Fund seit langem auf die Risiken der Pipeline hinweisen, wurden den Projektbetreibern Anfang Februar internationale Kredite in Höhe von 2,6 Milliarden US-Dollar zugesichert. An der Finanzierung ist neben deutschen Banken auch die Bundesregierung beteiligt.
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Gleich bei seinem ersten Auftritt auf internationalem Parkett verstand es Michail Saakaschwili, die Gemüter zu beruhigen. „Das Thema BP-Pipeline ist abgeschlossen“, signalisierte der neue georgische Staatschef während des Weltwirtschaftsforums in Davos. „Daran wird nicht gerüttelt. Wir stehen zu unseren vertraglichen Verpflichtungen.“ Dem ein oder anderen Wirtschaftsvertreter dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein: Mit Unruhe hatten internationale Investoren die politischen Entwicklungen in Georgien verfolgt, als nach Eduard Schewardnadses Rücktritt zunächst nicht absehbar war, welcher der oppositionellen Gruppierungen der Griff nach der Macht gelingen würde.
Mit Michail Saakaschwilis Wahl zum Präsidenten waren alle Zweifel ausgeräumt. Dem als westlich orientiert geltenden Politiker traute man es zu, die Bedeutung eines der zentralen wirtschaftlichen Projekte im Kaukasus für sein Land richtig einzuschätzen: den Bau einer knapp 1800 Kilometer langen Erdöl-Pipeline von der aserbajdschanischen Hauptstadt Baku über Tiflis bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Gerade Georgien, das wirtschaftlich schwächste der drei am Bau beteiligten Länder, hat allen Grund, dem Projekt keine Steine in den Weg zu legen: Bis zu 60 Millionen US-Dollar Transitgebühren im Jahr könnte Tiflis bald kassieren.
Die BTC-Pipeline, benannt nach den Initialen der Städte Baku, Tiflis und Ceyhan, verdankt ihre Konzeption dem so genannten „Jahrhundertvertrag“, der 1994 zwischen der Staatlichen Aserbajdschanischen Ölgesellschaft SOCAR und einem internationalem Konsortium aus elf Mineralölkonzernen unter der Leitung von British Petroleum (BP) abgeschlossen wurde. Inhalt des Monumentalwerks: die Erschließung von 800 Millionen Tonnen Erdöl aus dem aserbajdschanischen Teil des Kaspischen Meeres. Für Aserbajdschan bedeutete der Vertrag von Anfang an mehr als ein lukratives Geschäft: Es war der erste Schritt auf dem Weg in die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Russland, das noch zu Sowjetzeiten ein Exportmonopol für kaspisches Öl besessen hatte. Nachdem die Sowjetunion in ihre Bestandteile zerfallen war, hatten die unabhängig gewordenen Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres fieberhaft nach Möglichkeiten gesucht, sich möglichst große Anteile der auf bis zu 5,6 Milliarden Tonnen geschätzten kaspischen Ölreserven zu sichern – und nach Wegen, den Ölexport an Russland vorbei zu betreiben, um Transitzölle zu umgehen und den Wertschöpfungsanteil möglichst hoch zu halten.
Wie alle Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres verfügt auch Aserbajdschan über keinen Zugang zum offenen Meer. Bislang wurde aserbajdschanisches Öl daher über zwei bestehende Pipelines von Baku zu den Schwarzmeerhäfen Noworossijsk und Supsa transportiert und von dort aus weiter nach Europa verschifft. Aus mehreren Gründen ist dieser bisherige Exportweg unvorteilhaft: Zum einen fürchtet man die russische Dominanz im Schwarzmeergebiet, zum anderen ist die Kapazität der Meeresengen am Bosporus und den Dardarnellen begrenzt. Erst im November war ein georgischer Tanker vor Istanbul verunglückt, Anfang Januar verhängten die türkischen Behörden strenge Begrenzungen für den Schiffsverkehr und forderten insbesondere Ölexporteure auf, wegen der bekannten Gefahren der Bosporus-Enge alternative Transportwege zu finden.
Zusammen mit dem BP-Konsortium suchte man in Aserbajdschan nach der geopolitisch günstigsten Möglichkeit, Öl aus Baku zu den Märkten Europas und Amerikas zu transportieren, und verfiel auf den Bau einer Pipeline zum Mittelmeer. Mehrere Routen wurden wegen ihrer politischen Implikationen verworfen: Die kürzeste und am leichtesten zu bauende Variante, eine Trasse quer durch Armenien, schied wegen des anhaltenden armenisch-aserbajdschanischen Territorialkonflikts um die Enklave Berg-Karabach aus, während die Möglichkeit einer Routenführung über iranisches Territorium aus Rücksichtnahme auf die Nahost-Politik der USA verworfen wurde.
Schließlich einigte man sich auf die jetzt im Bau befindliche Trasse: Sie verläuft zunächst in westlicher Richtung 440 Kilometer weit über aserbajdschanisches Staatsgebiet, knickt dann auf ihrer 245 Kilometer langen Route durch Georgien kurz hinter Tiflis nach Süden ab und legt schließlich weitere 1080 Kilometer auf türkischem Territorium zurück, bevor sie den Mittelmeerhafen Ceyhan erreicht. Etwa die Hälfte der Arbeiten an der Pipeline sind inzwischen abgeschlossen, ab 2005 sollen täglich bis zu eine Million Barrel Erdöl an die Mittelmeerküste gepumpt werden. Finanziert wird das 3,6 Milliarden US-Dollar teure Vorhaben zu 30 Prozent von den Mitgliedern des BP-Konsortiums, für den Rest erhielten die Betreiber Angang Februar in Baku Kreditzusagen in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung will zusammen mit der Internationalen Finanzkorporation IFC, einem Ableger der Weltbank, 500 Millionen Dollar einbringen, weitere 936 Millionen stellen 15 internationale Privatbanken zur Verfügung, darunter die deutsche West LB und die Hypovereinsbank. Durch Exportkreditgarantien aus sechs Ländern werden die restlichen 1,166 Milliarden abgedeckt, auch die Bundesregierung vergibt eine Hermes-Garantie.
Nicht nur für Aserbajdschan, auch für die westlichen Abnehmerländer ist das Projekt über seine wirtschaftliche Lukrativität hinaus ein politischer Sieg, da durch den Bau der Pipeline langfristig die Abhängigkeit der Erdölversorgung von Russland und den OPEC-Staaten gemindert wird. Deshalb mehrt sich bei unabhängigen Organisationen die Befürchtung, die am Bau beteiligten Länder drohten im Ölrausch den Blick für die ökologischen und sozialen Konsequenzen ihres Projekts zu verlieren. So hält etwa Frank Mörschel von der deutschen Sektion des World Wildlife Fund die BTC-Pipeline für „ein höchst riskantes Projekt“. Die Trasse zerschneide wertvolle, international anerkannte Schutzgebiete und führe durch extrem erdbebengefährdetes Terrain, erläutert Mörschel: „Ölkatastrophen sind vorprogrammiert.“
Tatsächlich lag die oberste Priorität bei der Trassenführung wohl auf einer für alle Beteiligten politisch akzeptablen Lösung, wodurch die Minimierung der ökologischen Risiken in den Hintergrund rückte. Anders ist kaum zu erklären, warum der gewählte Verlauf der Pipeline Gebirge von bis zu 2700 Metern Höhe überwinden und durch Regionen mit nachgewiesener Erdbebengefährdung führen musste. Doch Frank Mörschel belässt es nicht bei einer Kritik der ökologischen Konsequenzen: Die rechtliche Absicherung der Pipeline setze in den einzelnen Ländern teilweise nationale Gesetze außer Kraft und behindere die nachhaltige Entwicklung, zudem sei es bei der Konsultation betroffener Anwohner zu Unregelmäßigkeiten gekommen.
BP-Sprecherin Clare Bebbington wiegelt ab: „Die BTC-Pipeline ist das Ergebnis eines bespiellosen Konsultationsprozesses mit den direkt Betroffenen. Über 30 000 Landbesitzer und Vertreter der 450 Kommunen entlang der Strecke wurden befragt. Die Pipeline verläuft auf ihrer gesamten Route unterirdisch, so dass nach dem Bau das Land zurück in die Hände der Besitzer fällt und wieder landwirtschaftlich bearbeitet werden kann. Alles, was wir verlangen, ist das Nutzungsrecht für einen acht Meter breiten Korridor.“ Auch Mörschels Vorwurf, das Projekt unterlaufe geltendes nationales Recht, will die BP-Repräsentantin nicht gelten lassen: „Die Schaffung spezieller rechtlicher Rahmenbedingungen für komplexe Projekte ist in keiner Weise ungewöhnlich – nicht einmal in entwickelten Rechtssystemen.“
Auch ein unabhängiges Prüfverfahren der Weltbank bescheinigt der Pipeline Unbedenklichkeit in ökologischer und rechtlicher Hinsicht. Für WWF-Sprecher Frank Mörschel ein klares Zeichen, dass das internationale Finanzinstitut die eigenen Umweltkriterien unterläuft: „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft hier offenbar eine riesige Lücke. Wer behauptet, seine Kredite unter ökologischen Gesichtspunkten zu vergeben, darf keinen Euro für die BTC-Pipeline bereit stellen.“
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Jens Mühling