Die Krimdeutschen setzen auf Moskau
Viktor Raiser hat Glück gehabt mit seinem Nachnamen. Der klingt nämlich in den Ohren vieler Russen und Ukrainer deutsch und damit nach Qualitätsarbeit. Und deswegen kommen viele Kunden zu seinem Arbeitgeber, einer Möbelfabrik in der Krim-Hauptstadt Simferopol, extra wegen Raiser, „dem Deutschen“.
Aus Deutschland stammen allerdings nur Raisers Vorfahren. Der 61-Jährige ist einer von rund 2500 Krimdeutschen, die auf der im Frühjahr von Russland annektierten Halbinsel leben. Mehr als 60.000 waren es einst. Viele siedelten dort seit dem frühen 19. Jahrhundert, angereist aus Süddeutschland und der Schweiz. Von ihrer Herkunft zeugen historische Ortsnamen wie Heilbrunn oder Zürichtal. Die meisten Krimdeutschen wurden 1941, nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, als potenzielle Kollaborateure nach Zentralasien deportiert. Die Rückkehr blieb ihnen lange verboten.
Deportierte können auf Entschädigungszahlungen hoffen
Nach dem umstrittenen Referendum im Frühjahr über den Anschluss der Krim an Russland bemühte Moskau sich aktiv, die zahlreichen ethnischen Minderheiten auf der Halbinsel auf seine Seite zu ziehen. Eine der ersten Handlungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin nach der Eingliederung der Krim war eine Verordnung zur Rehabilitierung der im Zweiten Weltkrieg deportierten Völker.
Heute treffen sich die zurückgekehrten Krimdeutschen zum Beispiel in einer alten lutheranischen Kirche im Zentrum von Simferopol. Viktor Raiser leitet dort das Begegnungszentrum „Deutschklub“. Auf einer Informationstafel des Zentrums sind in trauter Eintracht die deutsche und die ukrainische Flagge zu sehen. Doch die ukrainische Flagge wird wohl bald einer russischen weichen: Die Gründung einer „Kulturautonomie“, die die Krimdeutschen nach russischem Recht vertreten kann, ist bereits im Gange, und für die Minderheit ist das mit Chancen verbunden. So sicherten etwa Parlamentarier aus Moskau Unterstützung bei der Rückgabe beschlagnahmter Immobilien zu, auch Entschädigungszahlungen sind im Gespräch.
Raiser ist enttäuscht von der Ukraine
Die Geschenke aus Moskau sind ein Grund dafür, dass viele Krimdeutsche sich mit den neuen Machthabern arrangieren wollen. Gleichzeitig sind viele, wie Viktor Raiser, enttäuscht von der ukrainischen Regierung. Als in den 1990er Jahren viele Russlanddeutsche nach Deutschland auswanderten, entschied sich Raisers Familie auf die Krim zurückzukehren, von der ihre Vorfahren einst nach Zentralasien vertrieben worden waren.
Die Umsiedlung auf die Krim war für die Raisers eine bewusste Entscheidung für die Ukraine: Die lag näher an Europa und war kleiner als das benachbarte Russland. Wirtschaftlich würde das junge Land nach dem Zerfall der Sowjetunion bestimmt schneller auf die Beine kommen als Russland, dachte Raiser damals.
Doch seine Erwartungen wurden enttäuscht, sagt Viktor Raiser heute. Die neuen herrschenden Schichten hätten sich selbst bereichert, statt sich um das Land zu kümmern. „ Als es um die Frage ging, ob wir zum Referendum über die Vereinigung mit Russland gehen sollten, war für uns eindeutig: Natürlich gehen wir. Schlechter als in der Ukraine kann es nicht werden.“
Während Raiser mit Russland Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für die Krimdeutschen verbindet, übt er scharfe Kritik an der deutschen Politik. Das Bundesinnenministerium, zuständig für die finanzielle Förderung der deutschen Minderheiten im Ausland, hatte die Krimdeutschen davor gewarnt, die russische Politik auf der Krim zu unterstützen.
Bundesinnenministerium streicht Förderung
Die neuen Machthaber aus Russland nicht zu unterstützen, komme aber für seine Minderheit nicht in Frage, sagt Raiser. „Können Sie sich vorstellen dass 2500 Deutsche jetzt bekanntgeben, dass sie den Anschluss an Russland nicht unterstützen? Zu was führt das? Zu nichts Gutem! Wir werden dadurch nicht reicher, wir leben dadurch nicht besser auf der Krim, wir bekommen Probleme.“
Probleme haben die Krimdeutschen jetzt aber mit dem Bundesinnenministerium: Das hat mittlerweile die Förderung für die Krimdeutschen eingestellt. Die Hilfen umfassten Sprach- und Kulturarbeit, aber auch soziale Unterstützung. Offiziell begründet das Bundesinnenministerium den Zahlungsstopp damit, die Förderung über den Minderheiten-Dachverband „Rat der Deutschen in der Ukraine“ sei mittlerweile „faktisch nicht mehr möglich“. Der Dachverband sitzt nämlich in Kiew und hat keine Kontrolle über die von Russland annektierte Krim.
„Dann eben nicht“, sagt Raiser zur Entscheidung des Bundesinnenministeriums. Bis zu den 1990ern seien die Krimdeutschen ohne diese Unterstützung ausgekommen. „Wir leben auf der Krim, und wenn es hier heute russische Machthaber gibt, müssen wir mit ihnen zusammenarbeiten.“