Proteste in Ungarn: Ein Lichtermeer gegen Orban
„Wir sind Ungarn, keine Fidesz-ler“, steht auf einem Plakat, das über unzählige Köpfe hinweg aus der Menge ragt. Daneben bildet sich eine kleine Lücke, ein Rollstuhlfahrer zieht mit seinen Freunden über Budapests Elisabethbrücke. Dann schaltet er die Beleuchtung seines Smartphones ein und hält es in die Höhe, wie viele der Zehntausenden Demonstranten. Das Lichtermeer aus Handys und Tablets ist zum Sinnbild der aktuellen Proteste gegen die geplante Einführung einer Internetsteuer in Ungarn geworden.
Alles begann vor nicht einmal zwei Wochen, als der Steuerhaushaltsplan für das kommende Jahr veröffentlicht wurde. Darin schlug Volkswirtschaftsminister Mihaly Varga von der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz ein Gesetz zur Besteuerung von Datenverkehr vor. Umgerechnet 50 Cent sollte pro Gigabyte erhoben werden – laut Berechnung des unabhängigen Newsportals Index.hu mehr, als viele Ungarn pro Monat derzeit für den Internetanschluss zahlen. Widerstand formte sich prompt, vor allem über die Facebook-Seite „Hunderttausende gegen die Internetsteuer“.
Die Regierung ist unnachgiebig
Warum die Regierung unter Premier Orban die Internetsteuer einführen will, ist unklar. In der vergangenen Woche häuften sich Gerüchte, durch die Mehreinnahmen solle eine Gehaltserhöhung von Strafverfolgungsbehörden, Polizei und Militär finanziert werden. Der ungarische Verteidigungsminister Csaba Hende dementierte flugs, nannte aber keinen triftigen Grund für das Gesetz. Viele Gegner des Gesetzes wie der Protest-Initiator Balazs Gulyas mutmaßen, die Regierungspartei Fidesz wolle den Ungarn den „Zugang zur freien Welt abschneiden“.
Auch Informatikerverbände, Unternehmen wie die Magyar Telekom und Oppositionspolitiker äußerten sich verärgert über die Pläne der Regierung. Der Gesetzesvorschlag wurde daraufhin mit einer Obergrenze versehen: Für private Internetanschlüsse sollen maximal ca. 2,30 Euro fällig werden, für Firmenanschlüsse bis zu 16 Euro. Den Gegnern des Gesetzes geht das aber nicht weit genug. Am Dienstag füllten bereits zum zweiten Mal in dieser Woche zehntausende Demonstranten die Straßen Budapests. Die Proteste finden nicht mehr nur in Ungarns Hauptstadt, sondern mittlerweile im ganzen Land statt.
Die Führung um den Ministerpräsidenten Viktor Orban zeigt sich jedoch unnachgiebig. Antal Rogan, Vorsitzender der Fidesz-Fraktion im Parlament, behauptete in einem Interview, die Abgabe sei zum Wohl der Gesellschaft: „Man wird mehr gewinnen und zurückbekommen, als man in Steuern zahlt.“ Doch viele Ungarn glauben Rogans Worten nicht. Korruptionsvorwürfe, unter anderem gegenüber der Leitung der ungarischen Steuerbehörde, und Ausgaben in Millionenhöhe für die Renovierung von Fußballstadien haben dem Ansehen der Regierung geschadet.
„Es reicht“
Hinzu kommt, dass die Regierungspartei sich selbst widerspricht: 2008 plante die damalige sozialistische Regierung, eine ähnliche Steuer einzuführen. Fidesz rief zur Rücknahme des Gesetzesvorschlags auf, da solch eine Steuer „nicht hinnehmbar und unlogisch“ sei und die Partei „aus Prinzip“ dagegen sei. Widersprüche wie diese sind es, die auch den jungen Ungarn Attila bewogen, an den Protesten in Budapest teilzunehmen. „Es reicht jetzt einfach“, sagt der aus Westungarn stammende Heilpraktiker. „Die Idee mit der Internetsteuer zeigt wieder einmal, dass wir buchstäblich für die schlechte Regierungsführung von Orban und Co. bezahlen.“
Auch aus Brüssel kamen kritische Töne zu der Steuer. Der Sprecher der EU-Kommissarin für digitale Angelegenheiten Neelie Kroes sagte, die Internetsteuer sei schon allein wegen der wirtschaftlichen Schwäche Ungarns im europäischen Vergleich eine „schlechte Idee“. Der Vorschlag zeige erneut das beunruhigende Verhalten und die Praktiken der Gesetzgebung der ungarischen Regierung.
Abstimmung im Parlament
Die Flagge der EU war während der Demonstrationen der vergangenen Tage ständig zu sehen, die Teilnehmer skandierten „Europa, Europa!“ und jubelten, sobald die „Ode an die Freude“ erklang. „Wir wollen nicht noch weiter von Europa wegdriften“, sagte Balazs Gulyas, der 27-jährige Initiator der Demonstrationen.
Der Termin für den nächsten Protestmarsch in Budapest steht bereits fest: Am 17. November soll im ungarischen Parlament über den Gesetzesentwurf zur Internetsteuer abgestimmt werden. „Und auch dann werden wir verkünden, was wir jetzt sagen: Es wird keine Internetsteuer geben!”, sagt der ungarische Aktivist Balazs Gulyas.