Russland

Formel 1 in Sotschi – PR für Putin

Dimitri Zhukin steht auf dem Dach des Boxengebäudes in Sotschi. Die Zuschauertribüne und den Start- und Zielbereich der Rennstrecke hat er fest im Blick. Ganz in der Nähe liegt das Olympiastadion „Fisht“, in dem im vergangenen Februar die Eröffnungs- und die Schlussfeier der Olympischen Winterspiele stattfanden. Doch die Spiele sind für Zhukin Vergangenheit. An diesem Wochenende wird hier der erste Formel-1-Grandprix auf russischem Boden ausgerichtet. Für den Bauleiter der neuen Rennstrecke zählt jetzt nur noch der Grand Prix. „Die gesamte Rennstrecke verläuft innerhalb des Olympia-Parks“, sagt Zhukin. „Das wird mit den Sportstätten von Olympia zu einer einmaligen Atmosphäre beitragen. Die Show wird bestimmt spannend.“

Rund 260 Millionen Euro haben die Streckenbetreiber investiert. Wie schon die Olympischen Spiele Anfang des Jahres ist auch das Formel-1-Projekt deutlich teuer als geplant – die Kosten sind fast doppelt so hoch wie veranschlagt. Doch Dimitri Zhukin schüttelt den Kopf. „Wir hätten noch mehr bezahlen müssen, wenn wir an einem anderen Standort komplett neu gebaut hätten. Hier im Olympia-Park können wir die Infrastruktur nutzen. Das spart uns viel Geld.“


Die Strecke soll rasant und anspruchsvoll sein

Mehr als 3.200 Kilometer entfernt sitzt der Architekt Hermann Tilke im Konferenzraum seines Aachener Büros. Der Architekt hat an vielen Formel-1-Strecken mitgearbeitet – auch in Sotschi. Manche kritisieren den 59-Jährigen dafür, dass er zu sichere Kurse baue – und den Rennzirkus damit langweilig gemacht habe. Doch in Sotschi hat Tilke einen anspruchsvollen Parcours umgesetzt. „Die Autos werden nach dem Start einen Kilometer lang beschleunigen. In der ersten Kurve sind sie also über 300 km/h schnell. Ich hoffe, dass es dadurch ordentlich Action in der Kurve und viele Überholmöglichkeiten gibt.“

Doch ob sich viele russische Zuschauer von der Action anlocken lassen, ist fraglich. Ursprünglich hatten die Veranstalter mit 100.000 Zuschauern gerechnet. Mittlerweile ist die Kapazität auf 45.000 Plätze reduziert worden. Die Formel 1 hat in Russland keinerlei Tradition. Aktuell gibt es mit Daniil Kwjat nur einen russischen Formel-1-Fahrer und mit Marussia nur einen russischen Rennstall, der dem Feld aber weit abgeschlagen hinterherfährt. Für ausländische Fans ist Sotschi zudem schwer zu erreichen: Es gibt kaum Direktflüge in die Stadt am Schwarzen Meer. Ein Visum zu beantragen ist umständlich. Und der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sowie die EU-Sanktionen tun ihr übriges.


Der britische Vizepremier war für ein Sotschi-Boykott

In Formel-1-Kreisen wurden sogar schon Rufe nach einem Boykott des Rennens laut: Ein Funktionär der internationalen Automobilvereinigung FIA forderte Formel-1-Eigner Bernie Ecclestone auf, das Rennen in Russland zu streichen. Sogar der britische Vizepremierminister Nick Clegg sprach sich für eine Absage aus.

Aber dazu wird es nicht kommen. Der weltweite Rennzirkus ist ein Milliardengeschäft. Es geht darum, neue Märkte zu erschließen. Mexiko und Aserbaidschan werden 2015 und 2016 in den Rennkalender aufgenommen. Russland passt perfekt in diese Strategie. Allein 50 Milliarden Dollar soll der Ausflug nach Sotschi pro Jahr in die Kasse des Rechte-Inhabers Ecclestone spülen.


Es geht gar nicht um hohe Zuschauerzahlen

Die Verantwortlichen in Russland haben bereits Verträge mit der Formel 1 unterschrieben, die bis ins Jahr 2020 gelten. Denn sie verbinden mit dem Rennzirkus noch eine weitere Hoffnung: Die Rennen sollen helfen, Sotschis Olympia-Erbe sinnvoll zu nutzen. Derzeit stehen 40.000 Hotelzimmer in Sotschi leer. Schon im April mahnten Duma-Abgeordnete an, man müsse sich um das Olympia-Vermächtnis sorgfältiger kümmern. Es herrsche Ungewissheit, wie die Olympia-Sportstätten in Zukunft genutzt werden.

Doch letztlich sei es egal, wie viele Zuschauer tatsächlich zu den Rennen kommen, sagt der Formel-1-Experte Christian Sylt. Der Intimus von Bernie Ecclestone sieht keine Gefahr, dass es dem Olympia-Austragungsort ähnlich wie Indien oder Südkorea gehen könnte. Dort wurden die Grands Prix trotz langjähriger Verträge nach nur wenigen Ausgaben wieder aus dem Rennkalender gestrichen, wohl wegen zu geringer Zuschauerzahlen. Experte Sylt glaubt nicht, dass die Formel 1 in Sotschi den Rennsport in Russland bekannter machen soll. „Bei diesem Rennen geht es vielmehr darum, Russland im Rest der Welt populär zu machen.“

Die Rennen in Sotschi seien nicht auf Zuschauereinnahmen angewiesen, denn sie würden massiv vom Staat gefördert. Das werde allein schon dadurch sichtbar, dass die Verträge zwischen Ecclestone und Wladimir Putin höchstpersönlich ausgehandelt und unterzeichnet wurden. Momentan werden alle Kosten von der Regierung getragen. Positive Schlagzeilen für Russland in schwierigen Zeiten – die Formel 1 in Sotschi hat einen klaren Auftrag.


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