Ukraine

„Versorgung der ukrainischen Armee ist ein Fiasko“

ostpol: Herr Muzyka, Sie und Ihre Hilfsorganisation versorgen die ukrainische Armee mit Kleidung, Medikamenten und Lebensmitteln. Wie funktioniert das?

Maxim Muzyka: Wir sammeln bei ukrainischen Bürgern Geld- und Sachspenden und leiten die Hilfsgüter an die Front weiter. Das Verteidigungsministerium in Kiew kann seine Gelder wegen bürokratischer Bestimmungen nicht so flexibel ausgeben wie wir. Die Verwaltung steht still, während an der Front Männer sterben. Das Präparat „Celox“ zum Blutstillen beispielsweise darf derzeit nicht in die Ukraine importiert werden, weil es noch nicht zugelassen ist. Da sind wir flexibler. Nur Waffen dürfen wir nicht liefern.


Maxim Muzyka ist neben seiner Tätigkeit für die Hilfsorganisation auch Kandidat der gerade gegründeten pro-europäischen Partei „Ukraina – Edina Kraina“ („Ukraine – Einiges Land“).


Spenden auch Ausländer, z.B. Deutsche?

Muzyka: 99 Prozent unserer Geld- und Sachspenden erhalten wir von ukrainischen Bürgern und inländischen mittelständischen Unternehmen. Die wenigen Auslandsspenden kommen zumeist von der ukrainischen Diaspora in unterschiedlichen Teilen der Welt und sind de facto marginal. Ich kenne auch kein einziges westliches Unternehmen, das uns Hilfe angeboten hätte.

Wie schätzen Sie die Versorgungslage der ukrainischen Truppen ein?

Muzyka: Nach meiner Einschätzung wird der Bedarf der ukrainischen Streitkräfte an Ausrüstung, Schutzkleidung, Medikamenten und Verpflegung nur zu zehn Prozent durch Regierungsstellen gedeckt. 60 Prozent der Versorgung erfolgt über Spenden, die von Freiwilligen zu den Soldaten gebracht werden. Und zu 30 Prozent müssen die Männer sich leider immer noch selbst ausstatten.

Woran fehlt es am meisten?

Muzyka: Es fehlt schlichtweg an allem. Einige Soldaten brauchen Essen, andere Trinkwasser. Der Bedarf an einer ordentlichen Funkverbindung ist bei anderen wiederum am dringendsten. Ein Soldat bekommt grob gesagt vom Verteidigungsministerium nichts weiter als eine Kalaschnikow, vier Ersatzmagazine und zwei Handgranaten. Alles andere – von den Stiefeln bis zum Helm – muss er sich selbst kaufen. Die Offiziere sind teilweise gezwungen, über private Handys mit den Befehlshabern und den eigenen Soldaten zu kommunizieren, weil es zu wenige gute Funkgeräte gibt. Das ist ein Fiasko.

Die Lohnunterschiede in den Kampfverbänden sind enorm. So wurde den Kämpfern des Freiwilligenbataillons „Dnjepr“, das vom Oligarchen Igor Kolomojski mitfinanziert wird, ein Gehalt von umgerechnet 900 Euro versprochen. Das Gehalt der regulären Armee liegt bei etwa 160 Euro.

Muzyka: Ich kann sogar noch einen anderen Vergleich bringen: Das 2. Bataillon der Nationalgarde hat für 45 Einsatztage vom Innenministerium etwa 70 Euro pro Mann erhalten. Solche Zustände sind die Regel. Die Behauptung, die Freiwilligen würden in erster Linie des Geldes wegen in den Krieg ziehen, ist lachhaft. Was den Oligarchen Kolomojski angeht, so will ich nichts Schlechtes über ihn persönlich sagen. Aber einer mit seinen Kapazitäten könnte mehr tun. Seine Finanzierung im Vergleich zu seinem Vermögen ist ungefähr dasselbe, wenn man zwei Grivna, also weniger als einen Cent, in eine Spendenbüchse wirft und dann behauptet, man hätte der Armee geholfen.

Wie schätzen Sie die Bemühungen der Militärführung ein, die Situation zu verbessern?

Muzyka: Ich glaube, dass sich alles ändern wird. Dazu braucht man jedoch den Willen, Zeit und Geduld. Solange dies aber nicht der Fall ist, kann ich nur diese enorme Kluft zwischen den Bedürfnissen der Soldaten und dem Handeln der Regierungsmaschine beobachten. Entweder wir schaffen es, diese Probleme zu bewältigen – oder wir gehen unter.


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