Ukraine

Was Putin in der Ost-Ukraine will

Bis Mitte August schien es, als könnte die ukrainische Armee den Krieg im Osten des Landes militärisch beenden: Die Ukrainer rückten in mehrere von den prorussischen Rebellen kontrollierte Städte ein. Den Meldungen des ukrainischen Verteidigungsministeriums zufolge standen mit Luhansk und Donezk die beiden wichtigsten Städte im Donbass kurz vor der Einkreisung durch die ukrainische Armee.

In der zweiten Hälfte des August geriet die Offensive jedoch ins Stocken, in den letzten Tagen ist klar geworden: Die Ukrainer sind in der Defensive. Das Freiwilligenbataillon „Donbass“ geriet mit mehreren hundert Kämpfern in einen Kessel und wurde offenbar weitgehend aufgerieben, auch an anderen Stellen sind ukrainische Einheiten eingeschlossen. Am Montag mussten die Ukrainer sogar den strategisch wichtigen Flughafen von Luhansk aufgeben. Das wichtigste Ereignis jedoch: Im Süden eröffneten die prorussischen Rebellen eine neue Front. Ohne bedeutende Gegenwehr nahmen sie die Küstenstadt Nowoasowsk ein, nun ist die nahe gelegene Großstadt Mariupol in Gefahr.


Ein Durchmarsch bis zur Krim ist unwahrscheinlich

Eines ist klar: Ohne militärische Unterstützung aus Russland und offenbar auch den Einsatz regulärer Einheiten wäre diese militärische Wende nicht möglich gewesen. Schon malen Pessimisten ein Szenario an die Wand, in dem die Rebellen im Süden bis zur Krim durchmarschieren. Das ist jedoch unwahrscheinlich: Zwischen Mariupol und der Krim liegen gut 300 Kilometer, für eine solche militärische Operation wären Kräfte nötig, über welche die Separatisten heute nicht verfügen.

Zudem geht es Russland auch nicht um großflächige militärische Gebietsgewinne, sondern um die Demoralisierung der Ukrainer. Putin sendet den Ukrainern und dem Westen ein klares Signal: Eine militärische Lösung des Konfliktes im Osten wird es nicht geben. Kiew muss, so wünscht es Moskau, direkte Verhandlungen mit den Separatisten beginnen. Sollten die Ukrainer weiter versuchen, das Problem militärisch zu lösen, werden die Rebellen mit russischer Unterstützung zurückschlagen.


Die Ukraine ist im Schockzustand

Die jüngsten Niederlagen haben die Ukrainer an einer empfindlichen Stelle getroffen. Denn über Wochen verbreiteten Staat und Medien Siegesmeldungen und die Hoffnung auf einen schnellen Sieg. Nun müssen sie plötzlich ihr Scheitern eingestehen. Ein Reporter der New York Times beschrieb, wie Soldaten der ukrainischen Armee sich in Nowoasowsk weigerten, den Kampf aufzunehmen. Nach den Hiobsbotschaften der letzten Tage befindet sich die Gesellschaft im Schockzustand. Die Ukrainer suchen nach Schuldigen in der Armeeführung, der Kommandeur des Bataillons „Donbass“ spricht sogar von „Verrat“.

Den schnellen Sieg hätten die Ukrainer dringend gebraucht: um ihre Wirtschaft zu stabilisieren, um die Parlamentswahlen im Oktober in geordneten Verhältnissen durchführen zu können, um die Staatsfinanzen zu ordnen. Doch Russland hat diese Pläne durchkreuzt. Nun spielt die Zeit für Putin. Die ukrainische Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch: Im Juli stürzte die Industrieproduktion des Landes im Vergleich zum Juli 2013 um zwölf Prozent ab. Der Kurs der Landeswährung hat am Montag seinen historischen Tiefpunkt erreicht: Seit Beginn des Maidans hat die Hrywnia etwa zwei Drittel an Wert verloren.

Eine Fortführung der „Anti-Terror-Operation“, wie Kiew den Krieg im Osten noch immer nennt, in den Herbst oder gar den Winter hinein, wird zudem zu jener humanitären Katastrophe führen, vor der Russland seit Monaten warnt. Wie sollen die Bewohner von Luhansk oder Donezk im Winter ohne Strom und Wasser überleben?


Das Ziel: Autonomie des Donbass

Der Westen will in dieser Woche noch einmal Stärke zeigen: EU und USA möglicherweise mit neuen Sanktionen, die Nato mit einer Aufstockung ihrer Kräfte östlich der Oder. Doch das ändert nichts an der Einsicht: Ein Ende des Krieges und eine Stabilisierung der Ukraine ist tatsächlich nur durch Verhandlungen zu erreichen.

Die Forderungen des Kremls für einen Frieden vor dem Winter lauten: direkte Verhandlungen zwischen Kiew und den Separatisten mit dem Ziel einer weitgehenden Autonomie zumindest für den Donbass – also die Gebiete Donezk und Luhansk. Am Montag trafen sich dazu in Minsk erstmals seit Ende Juli wieder Vertreter Kiews, Moskaus, der Separatisten und der OSZE.

Gleichzeitig will Moskau dem Westen Zugeständnisse abringen: Garantien für die Gaslieferungen durch die Ukraine und eine langfristig festgeschriebene militärische Blockfreiheit des Landes. Ein Scheitern der Verhandlungen bedeutet eine Fortsetzung des Krieges und eine weitere Destabilisierung der Ukraine.


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