Der Diktator als Vermittler

Ausgerechnet der belarussische Präsident, der als „letzter Diktator Europas“ gilt, will sich als Vermittler zwischen Kiew, Moskau und Brüssel inszenieren. Das ist für viele Beobachter nicht zufällig: Lukaschenko ist international isoliert und hatte schon zuvor versucht, den Ukraine-Konflikt für sich zu nutzen. Putin und Poroschenko trafen sich am Dienstag in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Dort hatten bereits Ende Juli Gespräche zwischen Russland, der Ukraine, der OSZE und den prorussischen Separatisten stattgefunden.
Die Rolle von Belarus im Ukraine-Konflikt ist pikant: Außenpolitisch gilt Wladimir Putin als der wichtigste Verbündete von Lukaschenko. Die aggressive Politik des Kremls habe aber selbst „Lukaschenko etwas erschreckt“, so der Minsker Politologe Jurij Tschausow. Belarus ist noch viel stärker russischsprachig geprägt als die Ukraine. In Minsk werden die Hegemonie-Ansprüche des Kremls auf die Wiederherstellung des „Russki Mir“, der „Russischen Welt“, deshalb mit Sorge beobachtet.
In der Ukraine-Krise war Lukaschenko somit mit kleinen, aber merklichen Schritten immer wieder zur Kreml-Politik auf Distanz gegangen: So hatte Lukaschenko den Übergangspräsidenten Oleksandr Turtschinow immer als rechtmäßigen Präsidenten der Ukraine bezeichnet. Am Sonntag hatte Lukaschenko seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko offiziell zum „Tag der Unabhängigkeit“ gratuliert.
Auf Kuschelkurs mit Kiew
Hinter dem Kuschelkurs stecken aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Lukaschenko ist an guten Beziehungen mit dem südlichen Nachbarn gelegen: Durch den Export von Rohstoffen entsteht jährlich ein Plus von zwei Milliarden US-Dollar im Handel mit der Ukraine – ein wichtiger Devisenbringer für das angeschlagene Belarus, das seit Jahren knapp vor dem Staatsbankrott steht.
Das hinderte Lukaschenko freilich nicht daran, ganz unverblümt seine Ambitionen in Richtung Moskau zu äußern: „Wir müssen uns bewegen, diesen Moment nutzen und Geld verdienen“, sagte Lukaschenko zuletzt, als der Kreml als Antwort auf EU-Sanktionen Importverbote für europäische Lebensmittel beschloss. So sollen in Zukunft mehr belarussische Lebensmittel nach Russland exportiert werden.
Tauwetter zwischen Minsk und Brüssel
Spekuliert wurde zuletzt außerdem über ein Tauwetter zwischen Minsk und Brüssel. Brüssel hatte Sanktionen gegen Belarus verhängt, nachdem Lukaschenko im Jahr 2006 eine Demonstration in Minsk brutal niederschlagen ließ. Ende Juni war der bekannte belarussische Menschenrechtler Ales Bjaljazki überraschend aus der Haft entlassen worden – die Freilassung politisch Gefangener ist seit Jahren eine Hauptforderung der EU. Beobachter berichten zudem von vermehrten diplomatischen Kontakten zwischen Brüssel und Minsk – wenngleich hinter den Kulissen. Lukaschenko könnte sich dadurch eine Lockerung von Sanktionen oder Finanzhilfen versprechen.
Die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage wurden indes klar zerstreut. Im Gegenteil: Mehrere Aktivisten der Zivilgesellschaft waren im Vorfeld des Gipfeltreffens in Minsk inhaftiert worden, um die Veranstaltung mit ihren Aktionen nicht zu stören, berichtet das regierungskritische Internetportal Charter97. „Für Lukaschenko ist diese Veranstaltung also ein Geschenk des Schicksals – eine wunderbare Chance, sein internationales Image aufzubessern, ohne dabei auf den Westen auch nur einen Schritt in puncto Menschenrechte zuzugehen“, resümiert der Minsker Publizist und Politologe Alexander Klaskouski.