Moskaus Rad-Revolution kommt in die Gänge
Ein Sommernachmittag im Gorki-Park. Alexej, ein gebürtiger Moskauer Anfang 40, hat sich mit einem Freund zum Radfahren verabredet. Vom Park aus soll es an der Moskwa entlang ins Zentrum der Zwölf-Millionen-Metropole gehen. Vor wenigen Jahren wäre diese Tour noch praktisch undenkbar gewesen. Nicht nur, weil damals Radwege am Flussufer fehlten. Bis vor kurzem spielte das Fahrrad im Moskauer Straßenverkehr keine Rolle.
Auch Alexej schüttelte damals den Kopf, wenn sich einer dieser scheinbar lebensmüden Radfahrer ins Zentrum verirrte. Radfahren war Risikosport, Russlands Hauptstadt gehörte bislang den Autofahrern. Wer einen Parkplatz suchte, fand den auf dem Bürgersteig oder in zweiter Reihe. Auf Magistralen mit zehn und mehr Spuren stehen die Autos entweder im Stau oder sie schießen mit 60, 80 oder 100 Kilometern pro Stunde durch die Stadt.
Rücksichtnahme gehöre nicht zu den Tugenden der Autofahrer in Moskau, sagte vor einiger Zeit Igor Nalimow, Chef des russischen Fahrradverbands. „Viele Russen denken: Wer aufs Rad steigt, steigt sozial ab“. Hinzu kamen der lange Winter, Smog im Sommer, Angst vor Diebstahl und vor allem fehlende Infrastruktur – Gründe gegen das Zweirad gab es viele. Jetzt erobern Radfahrer allmählich den Asphalt.
Das Radwegenetz soll dieses Jahr auf 274 Kilometer wachsen
Seit vergangenem Jahr fallen im Stadtbild Markierungen für Radwege auf, es gibt Radständer und Verleihstationen. In diesem Sommer soll es 150 automatische Verleihpunkte geben, künftig sollen es 300 sein, mit 4.500 Rädern. Die Stadtplaner träumen davon, aus Moskau eine europäische Fahrradhauptstadt zu machen. „Wir wollen, dass das Fahrrad ein Fortbewegungsmittel ist, mit dem sich die Menschen sicher und bequem durch die Stadt bewegen können“, erklärt der für die Verkehrsinfrastruktur zuständige stellvertretende Bürgermeister Maxim Liksutow.
Was das Radwege-Netz angeht, fährt Moskau anderen europäischen Metropolen noch weit hinterher. In diesem Jahr soll die Strecke aber von gut 150 Kilometern auf 274 Kilometern wachsen. Und damit soll längst nicht Schluss sein. Igor Nalimow vom Fahrradverband hat mindestens 600 Kilometer quer durch Moskau ausgemacht, auf denen sich heute ohne großen Aufwand Radwege markieren ließen. Gleichzeitig kritisiert er, dass das Geld beim Anlegen der Routen, wie oft in Russland, in dunklen Kanälen versickere.
Alexej aus dem Gorki-Park hat sich selbst erst vor zwei Jahren ein eigenes Rad zugelegt. Die neuen Radwege findet er „sehr, sehr gut“. In seinem Bezirk am Stadtrand ist er meist mit dem Zweirad unterwegs, etwa um Einkäufe zu erledigen. Alexej weiß aber auch: „Wir haben noch keine Fahrradkultur in Russland.“
Die Zeit des wilden Parkens ist vorbei
Dass Moskau dies nun zu ändern versucht, begrüßt Alexej. „Die Stadt unternimmt viel, um Autofahrern das Leben schwer zu machen“, erklärt er. Zum Beispiel mit neu eingeführten Bußgeldern für Falschparker: Wer sein Auto heute noch wahllos abstellt, muss mit einer empfindlichen Strafe von fast 50 Euro rechnen. Bürgermeister Sergej Sobjanin will damit das Verkehrschaos im Zentrum lindern.
Überhaupt versucht Moskau neuerdings, seiner Infrastruktur ein lebendigeres und europäischeres Erscheinungsbild zu verpassen. Im vergangenen Jahr legte die Stadt großflächig Fußgängerzonen im Zentrum an, wo früher Verkehrschaos herrschte. Statt wild parkender Autos stehen dort heute Sitzbänke und Blumenkübel. Viele Moskauer betrachten die Veränderungen unter dem seit 2010 amtierenden Bürgermeister Sobjanin wohlwollend.
Im vergangenen Jahr nutzten mehr als 46.000 Menschen die neu aufgestellten automatischen Fahrradverleih-Stationen. Vermutlich dürften es in diesem Sommer noch mehr Menschen sein. Für eine Metropole mit zwölf Millionen Menschen ist das noch verhältnismäßig wenig. Doch allmählich die Zweirad-Revolution gewinnt in Moskau an Fahrt.