Sind Sanktionen gegen Russland ein Bumerang?
Bislang hat die EU Einreiseverbote und Kontensperrungen für bestimmte Unternehmer und Firmen aus Russland beschlossen. Warum tun sich die europäischen Regierungen so schwer damit, sich auf härtere Strafen zu einigen - z.B. auf Lieferstopps für die russische Erdöl-Industrie oder ein Waffenembargo?
Verschiedene Interessen stoßen aufeinander: Frankreich etwa würde ein Waffenembargo schaden. Paris will im Oktober den ersten von zwei bestellten Mistral-Hubschrauberträgern im Wert von 1,2 Milliarden Euro an Russland liefern. Vor allem Großbritannien bekäme Einschränkungen im Finanzsektor zu spüren, da viele reiche Russen ihre Geschäfte über London abwickeln. Einige Oligarchen ziehen bereits ihr Kapital von dort ab. Die deutsche Wirtschaft ist im russischen Energiesektor stark engagiert, ebenso wie auf dem Automobilmarkt.
Wären diese Maßnahmen ein Bumerang für die deutsche Wirtschaft?
Ja, Wirtschaftsvertreter rechnen mit schweren Folgen für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind die Ausfuhren nach Russland im Vergleich zum Vorjahr bereits um 14 Prozent zurückgegangen. Martin Wansleben vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) spricht Medienberichten zufolge von „deutlichen Bremsspuren“, die die Sanktionen hinterlassen hätten. Der DIHK schätzt, dass das Exportvolumen in Folge um gut vier Milliarden Euro einbrechen könnte. Zudem träfen Sanktionen etwa jeden vierten deutschen Exporteur. Laut Mario Ohoven, dem Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, gebe bei einem Wirtschaftskrieg mit Russland nur Verlierer. Nach Angaben des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft stehen wegen der Ukraine-Krise in Deutschland mindestens 25.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Wie reagiert die russische Führung auf weitere Sanktionen?
Kreml und Regierung spielen die Folgen herunter und warnen vor Auswirkungen auf die globale Wirtschaft. Präsident Wladimir Putin erklärte: „Sanktionen werden die Beziehungen zwischen den USA und Russland in eine Sackgasse führen und sehr schwere Schäden anrichten.“ Nach Meinung von Premier Dmitri Medwedjew haben die Sanktionen seinem Land aber bislang keinen größeren Schaden zugefügt. Handelsminister Denis Manturow spricht von „Peanuts“ im Vergleich zur Isolation, die Russland zu Sowjetzeiten erfahren habe.
Wie robust ist die russische Wirtschaft überhaupt?
Die Wirtschaft stagniert seit Monaten – auch ohne Ukraine-Krise. In diesem Jahr erwartet die Regierung einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von lediglich 0,5 bis zu einem Prozent. Experten rechnen sogar mit nur noch 0,2 Prozent. Die Wirtschaft ist dringend auf Modernisierung und ausländische Investoren angewiesen. Der aktuelle Konflikt verstärkt die Probleme zusätzlich. Ex-Finanzminister Alexej Kudrin warnte, die Sanktionen hätten Russland bereits ein Prozent seines Wirtschaftswachstums gekostet. „Was geschieht, ist schlecht fürs Geschäft und es ist schlecht für Russland“, sagte ein russischer Milliardär der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Wie ist die Stimmung bei deutschen Unternehmen in Moskau?
Fast 6.000 deutsche Unternehmen sind in Russland aktiv. „Das Tagesgeschäft ist je nach Branche nicht so dunkel“, sagt Jens Böhlmann von der Auslandshandelskammer (AHK) in Moskau, die Perspektive bis Jahresende nennt er aber „verhalten“. „Die Krise macht alles viel, viel schlimmer“, klagt hingegen ein deutscher Automanager in Moskau. Die Verkäufe seien eingebrochen, Besserung sei kurzfristig nicht in Sicht. Allerdings lohne sich das Engagement langfristig dennoch: „Russland kommt zurück“, hofft der Auto-Mann. Sollte es jedoch zu strikten Handelshemmnissen kommen, schneide sich Europa ins eigene Fleisch, sagt er. Der Vertreter einer ausländischen Bank berichtet von einer „unheimlich großen Verunsicherung“. Russen schöben Verträge und Entscheidungen auf, das bekämen auch deutsche Unternehmen zu spüren.