Ukraine

Schlechte Nachrichten aus dem Donbass

Die Nachrichten aus dem Donbass haben sich im vergangenen halben Jahr stetig verschlechtert. Wann werden wir wohl den Punkt erreichen, ab dem alles wieder ein wenig besser wird?

Um die Dynamik der Ereignisse zu verstehen, ist ein kurzer Rückblick nötig. Noch im Frühjahr riefen die Berichte aus den ostukrainischen Städten Donezk und Luhansk lediglich Nervosität und Unverständnis hervor. Damals wurden dort Proteste von Euromaidan–Demonstranten auseinandergetrieben, Aktivisten verprügelt, einer wurde sogar erstochen. Vielleicht war das Zufall, vielleicht Provokation. Aber man war nicht geneigt, in all dem eine Gesetzmäßigkeit zu sehen.

Doch es wurde ziemlich schnell klar, dass es nicht mit der Auflösung von pro-ukrainischen Demonstrationen getan war. Im Donbass wurden Verwaltungsgebäude und Arsenale besetzt, selbsternannte „Bürgermeister“ tauchten auf, die Kiewer Staatsmacht wurde massenhaft sabotiert. Schon bald tauchten bewaffnete Russen auf. Die Kampfhandlungen begannen.


Propaganda kennt keine Nuancen und Halbtöne

Währenddessen demonstrierten die Einwohner mit russischen und sowjetischen Flaggen. Sie verfolgten pro-ukrainische Aktivisten, riefen Putin zur Entsendung von Truppen auf. Die Falle schnappte zu: Der Donbass ist mittlerweile unter Kontrolle von grausamen und zynischen Menschen.

Die Separatisten machten sich sehr erfolgreich die Angst der Bevölkerung vor der neuen Regierung in Kiew zunutze sowie die Bereitschaft von Teilen dieser Bevölkerung, ihr Territorium mit Waffen und unter der Anleitung von Profis aus Russland vor den Kiewer „Faschisten“ zu verteidigen.

Dass plötzlich die eigenen Landsleute zu vermeintlichen Faschisten wurden, denen sie gestern noch in Bahnhöfen, Supermärkten, an Tankstellen begegnet waren, interessierte kaum jemanden. Propaganda kennt keine Nuancen und Halbtöne, sie stellt die Welt in schwarz-weiß dar. Und über die Rolle von Propaganda in diesem Konflikt wird man noch Lehrbücher schreiben, dessen bin ich mir sicher.

Was dann folgte, war die Blockade der Stadt Slowjansk, grausame Kämpfe an der Grenze, eine Riesenmenge von russischen Waffen auf ukrainischem Territorium. Dutzende getötete Zivilisten in ukrainischen Städten. Und schließlich die abgeschossene Boeing, deren Passagiere mit dem ganzen Geschehen nichts zu tun hatten.

Was sich noch vor drei Monaten als eine zivile Auseinandersetzung deuten ließ – gleichwohl unter Beteiligung Russlands – kann man heute nur noch als eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine bezeichnen. Daran nehmen völlig unterschiedliche Parteien teil: auf der einen Seite die ukrainische Nationalgarde und die Freiwilligen-Bataillone, auf der anderen Seite die lokalen Separatisten und die russischen Militärs.


Man sollte die Dinge beim Namen nennen:
Das Territorium der Ukraine ist Schauplatz einer direkten militärischen Aggression.

Dass der Kreml die Präsenz eigener Soldaten im Donbass leugnet, macht diesen Krieg nicht weniger abscheulich und hinterhältig. Überhaupt: Wenn der Kreml seine Beteiligung in der Ostukraine abstreitet, so trägt das in keiner Weise zum Ende dieses Krieges bei.

Natürlich versuchen die Unterstützer der selbsterklärten Republiken im Donbass die russische Spur so gut es geht zu verwischen. Obwohl die Separatisten die Hilfe aus Moskau nicht generell leugnen – weil sie einfach zu offensichtlich ist – stellen sie ihre Republiken Donezk und Luhansk als natürliche Gebilde dar, die im gemeinen Volk ihren Ursprung haben.

Sie ziehen Parallelen zum Bürgerkrieg in Spanien. Die Rolle der damaligen internationalen Freiwilligenbrigaden übernehmen tschetschenische Freischärler, russische Panzerfahrer und Piloten, Vertreter zweifelhafter Kosaken-Organisationen und ganz offiziell über russische Wehrämter rekrutierte russische Staatsbürger.

Der Vergleich mit Spanien ist sehr bezeichnend für diesen Konflikt, genau wie die Beteiligung von Igor Girkin, dem selbsternannten Verteidigungsminister der „Republik Donezk“. Girkin ist ehemaliger Oberst der russischen Armee und Ex-Offizier des Militär-Geheimdienstes. Der Separatistenführer hat offenbar jeden Realitätssinn verloren: Er kämpft auf fremdem Gebiet und versteckt sich hinter Zivilisten. Er kämpft für Chimären und Phantasien, wie die Wiedergeburt des Sowjetimperiums oder die „Befreiung des Volkes von Neurussland von der Kiewer Junta“.

In diesem Konflikt kommen so viele historische und geopolitische Fälschungen und Phantome zum Einsatz, dass Ideologie irgendwann jeden Sinn verloren hat. Gegen wen kämpft die sogenannte „Landwehr“? Gegen Faschisten. Wer sind die Faschisten? Jene, die von der „Landwehr“ bekämpft werden. Warum sind sie Faschisten? Weil die „Landwehr“ sie bekämpft.

Diesen historischen Parallelen und Rekonstruktionen könnte man mit Ironie begegnen, hätte ihre Umsetzung in der Ukraine nicht einen Preis: zerbombte Städte, zerstörte Infrastruktur und die Verletzung aller internationaler Absprachen. Ein Land, das sich 23 Jahre lang aus allen kriegerischen Konflikten herausgehalten hat, ist in eine blutige Schlacht hineingezogen worden und muss nun seine territoriale Einheit und Freiheit verteidigen – während sein Nachbarland ständig militärischen und medialen Druck ausübt.

Was heute in der Ostukraine passiert, erinnert kaum an einen Ausdruck des Volkszorns oder einen Versuch der regionalen Selbstbestimmung – weil die Selbstbestimmung auf Befehl von ausländischen Militärspezialisten erfolgt.


Und wie reagiert Europa?

In den vergangenen Monaten hatte ich die Gelegenheit, viele Widersacher der Ukraine und Unterstützer Putins zu treffen. Linke, Rechte, Liberale, in Polen, Deutschland und Frankreich. Für sie ist alles klar und deutlich: Die sogenannte „amerikanische Spur“ hinter den Protesten, die Faschisten auf dem Maidan, die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung, die Rolle Putins als Friedensstifter. Vermutlich würden sie selbst im Boeing-Abschuss Putins Friedensbemühungen sehen. Vermutlich ist es so leichter für sie, vielleicht ist es für sie günstiger.

Doch während man von ihnen ohnehin kaum etwas anderes erwarten kann, ist die Position der europäischen Regierungen völlig unverständlich und geradezu verbrecherisch. Denn viele flirten mit dem russischen Präsidenten, der in einem bewaffneten Konflikt zwei Länder aufeinander hetzt.

Was erhoffen sich die europäischen Politiker? Dass keine Passagierflugzeuge mehr abgeschossen werden? Möglich, dass keine mehr abgeschossen werden. Ist das die hinreichende Begründung, um russische Panzerlieferungen in den Donbass zu relativieren? Das Widerlichste an dieser Situation sind die Doppelmoral und die Spielchen hinter den Kulissen, die die Ukraine mit einem bis an die Zähne bewaffneten Aggressor allein lassen. Aber das ist ja nicht Europas Problem. Richtig?

Ich erinnere mich, wie ich im vergangenen Dezember, einen Tag vor dem Krim-Referendum, mit Putin-Unterstützern in Berlin diskutierte. Dabei ging es auch um die sogenannte „Selbstbestimmung“ der Krim und die Annahme, dass Russland nicht eingreifen würde beim Referendum. Es war vom beleidigten Russland die Rede und von historischer Gerechtigkeit. Ich erlaubte mir einen Einwand: Dann seien russische Panzer an der polnischen Grenze doch nur eine Frage der Zeit.
Für meine Widersacher auf dem Podium klang das wie ein Hirngespinst. Doch wenn jemand im März gesagt hätte, dass Terroristen im Juli ein Passagierflugzeug über der Ukraine abschießen werden – das hätte auch wie ein Hirngespinst geklungen, da bin ich mir sicher.

Hirngespinste werden Wirklichkeit. Die Zeit schreitet voran. Die Berichte aus dem Donbass werden schlechter.


Aus dem Russischen von Pavel Lokshin


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