Rumänien

Die Traumalosen

Wenn der Arzt Gabriel Diaconu die offiziellen Zahlen über Fälle von posttraumatischer Belastungsstörung in der rumänischen Armee hört, dann lacht er und zieht eine verzweifelte Grimasse. Der Traumaspezialist kennt die Realität, vor der die rumänische Regierung und die Gesellschaft die Augen verschließen.

Am vergangenen Sonntag hat Rumänien mit dem Truppenabzug aus Afghanistan begonnen. Seit 2002 kämpfte die rumänische Armee als Angehörige der NATO-Schutztruppe ISAF in Afghanistan, von 2003 bis 2009 waren rumänische Soldaten im Irak stationiert. 25 Soldaten bezahlten die Teilnahme an den beiden Kriegen mit dem Leben, im offiziellen Sprachgebrauch wurden sie zu „Helden“ gemacht. Unzählige wurden verletzt, trugen sichtbare oder unsichtbare Wunden davon.


Nur zwei von 32.000 sollen traumatisiert sein

Doch wer seelisch versehrt aus dem Einsatz zurückkommt, verschwindet in den Akten. Laut offiziellen Angaben haben nur zwei rumänische Soldaten durch ihren Einsatz eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Das bedeutet bei einer offiziellen Einsatzzahl von 32.000 Militärs eine Quote von 0,006 Prozent.

Die deutsche Bundeswehr hingegen berichtet allein für das Jahr 2013 von 149 PTBS-Neuerkrankungen. Weitere 1.274 Soldaten befanden sich in diesem Zeitraum bereits in Behandlung. Nach der Rückkehr aus dem ISAF-Einsatz haben Ärzte bei knapp drei Prozent der deutschen Truppenmitglieder PTBS diagnostiziert, so eine Studie der TU Dresden vom Herbst 2013. Die Dunkelziffer für PTBS und andere psychische Erkrankungen liegt noch deutlich höher.

Psychiater Diaconu behandelt rumänische Soldaten, die an PTBS erkrankt sind. „Meiner Einschätzung nach müssen Hunderte davon betroffen sein“, sagt er. Diaconu ist kein Militärarzt, die Patienten müssen für ihre Genesung selbst bezahlen. Und er sitzt in Bukarest und damit von den Betroffenen oft hunderte Kilometer weit entfernt.


Florin Jalaboi machte sein Leid öffentlich - niemand wollte es hören

Einer von ihnen ist Florin Jalaboi. Er kam 2012 aus Afghanistan zurück. Ein halbes Jahr lang diente er in der südlichen Provinz Zabul, davor in den 1990er Jahren in Bosnien-Herzegowina. Der Krieg ist sein Beruf. Heute kann Jalaboi ihn nicht mehr ausüben. Die rumänische Armee hat ihn frühpensioniert.

Dass der Soldat aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr arbeiten kann, wird in seinen Entlassungspapieren nicht erwähnt. Mehrfach hat Jalaboi versucht, sich umzubringen. Doch der Mann erfährt keine Unterstützung seitens der Armee. Auch nicht, als er sich in der Zeitung „Gandul“ öffentlich zu seinem Leiden bekennt. Der erhoffte Knalleffekt bei den Verantwortlichen und in der Gesellschaft blieb aus. Nur Unannehmlichkeiten habe ihm sein „Geständnis“ beschert, schreibt Jalaboi, der mit der Presse nicht mehr sprechen will, auf Anfrage.

Schwer nur lässt sich ein Soldat finden, der aus dem Inneren der Armee erzählt. „Die posttraumatische Belastungsstörung wird nicht ernst genommen“, sagt schließlich ein rumänischer Soldat dieser Zeitung. Er hat insgesamt drei Jahre im Kosovo und in Afghanistan gedient, blieb selbst von einer Belastungsstörung verschont, kennt aber betroffene Kameraden. „Sie bekommen die notwendige Hilfestellung nicht“, sagt er.


Bild vom verlässlichen NATO-Partner soll nicht gestört werden

Die rumänische Armee machte nach der Wende 1989 eine langwierige Transformation von der Volksmiliz zum Berufsheer durch. Als eine von wenigen Institutionen genießt sie noch das Vertrauen der rumänischen Bevölkerung: Die Armee gilt als Bollwerk gegen den Verfall der von Korruption und Skandalen gebeutelten politischen Institutionen, auch weil die rumänischen Soldaten an der Seite der westlichen Heere mithalten können.

Schwäche hat in diesem Bild des armen, aber verlässlichen NATO-Partners keinen Platz. Das zeigen auch Aussagen von rumänischen Armeeangehörigen: Der rumänische Soldat sei gesund, qualifiziert, bestens vorbereitet und er zeige keine Furcht, sagte eine Militärpsychologin „Gandul“. Nicht zuletzt helfe der besondere rumänische Humor den Soldaten, über erlebte Grausamkeiten hinwegzukommen. Traumatisierungen werden somit quasi ausgeschlossen.

Psychiater Diaconu hingegen spricht von „einer gefährlichen Vernachlässigung der eigenen Angestellten“, da es für PTBS-Erkrankte keine Anlaufstellen gibt, wo sie sich „seelisch dekontaminieren können“. Vor allem, weil das Trauma auch Monate nach den Erlebnissen ausgelöst werden kann – etwa wenn die Verwundeten eines Autounfalls die Erinnerung an eine Minenexplosion hervorrufen und er die Situation am Kriegsschauplatz erneut erlebt.


„Zeitbomben“ werden zurück ins zivile Leben entlassen

Doch denjenigen, die der Kriegseinsatz zu Hause nicht loslässt, mangelt es nicht nur an Behandlungsmöglichkeiten. Sie stehen oft vor finanziellen Problemen. Weil PTBS-Fälle nicht vorgesehen sind, hat die rumänische Armee Erkrankten keine berufliche Perspektive anzubieten. Ein traumatisierter Berufssoldat, der aus der Armee ausscheiden muss, steht vor dem Nichts. Jalaboi etwa wurde mit einer Pension von umgerechnet 150 Euro abgespeist.

Nicht zuletzt aus diesem Grund kehren viele Traumatisierte an die Kriegsschauplätze zurück, glaubt Diaconu. Doch nicht nur das sei untragbar: Dadurch, dass die rumänische Armee es tunlichst vermeidet, „das Kaninchen PTBS aus dem Zylinder zu zaubern“, werde in Kauf genommen, dass „Zeitbomben“ ins zivile Leben zurück entlassen werden.


Weitere Artikel