Russland

Russische Parlamentswahlen

Russische Parlamentswahlen

Omsk (n-ost) - In Russland ist Alexander Karelin ein Held. Der Ringer ist mehrfacher Olympiasieger und Weltmeister. Momentan klappert der zwei Meter große Riese fast jedes Dorf in Westsibirien ab. Er macht Wahlkampf für die Putinpartei „Einheitliches Russland“ (Jedinaja Rossija). Am kommenden Sonntag sind Wahlen zum russischen Parlament. Der Athlet hat ein klares Ziel: Er will als Abgeordneter der Staatsduma wiedergewählt werden.
Karelin ist ein typischer Kandidat von Gnaden des russischen Präsidenten. Für Wladimir Putin ist die Parlamentswahl der Test, ob seine Wiederwahl am 14. März 2004 gelingt. Da gehört es zur Raison d’etat, dass nichts dem Zufall überlassen wird. Die Demoskopie wird zur Lenkung der Wähler eingesetzt, notfalls werden Umfragen manipuliert. So sieht der staatliche Fond „Öffentliche Meinung“ die Partei des Präsidenten mit 20 Prozent vorn. Dahinter folgen die Kommunisten (KPRF) mit 15 Prozent. Die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) des Rechtsradikalen Wladimir Schirinowski kommt auf sechs Prozent. Die beiden demokratischen Parteien, Union der Rechten Kräfte (SPS) und „Jabloko“, werden so gerade die 5-Prozent-Hürde nehmen.
Andere Zahlen erhob das unabhängige Allrussische Meinungsforschungszentrum (WZIOM). Es prognostiziert zwischen Kommunisten und Putins Loyalisten ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
„Für mich ist Putins Jedinaja Rossija keine richtige Partei“, schimpft Wladimir Loschnikow. Er ist Parteisekretär der KPRF im westsibirischen Landkreis Asowo. Damit trifft der Genosse das Kernproblem der russischen Demokratie. Sie ist eine staatliche Veranstaltung und die persönliche Angelegenheit des Präsidenten. Die Dumawahl wird zum reinen Vorspiel für die Präsidentenwahl. Das Parlament ist Staffage. Putins Gesetze soll es nur noch abnicken. Verstärkt wird die Einflusslosigkeit der Volksvertretung durch die unterentwickelten Parteien. Ihnen fehlt die Verbindung zur Gesellschaft. Stammwähler gibt es nicht. Ein Kluft zwischen Staat und Gesellschaft ist offenkundig. Und der allgegenwärtige Präsident macht diese Trennung durch seine Politik des starken Staates unüberwindbar.
Selbst das Wahlrecht wurde so zurecht gebogen, dass Putin seine Getreuen in der Duma wiederfindet. Die Hälfte der 450 Sitze wird nach relativer Mehrheit an direkt gewählte Kandidaten vergeben. Die andere Hälfte der Mandate nach Proporz an Parteien verteilt. Die selbst nominierten Direktkandidaten kommen fast alle aus der Staatsbürokratie des Präsidenten. Natürlich sind solche Bewerber besser ausgestattet als ihre Herausforderer. Sicherheitshalber setzt Putin noch auf bekannte Gesichter. Die Spitzenkandidaten von „Einheitliches Russland“ wie Innenminister Boris Gryslow, der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow und der Notstandsminister Sergej Schojgu sollen als prominente Zugpferde dienen.
In einer solchen Situation können Parteien ihre Funktion der Meinungsbildung nicht erfüllen. Um so bedeutsamer sind die Medien im Wahlkampf. Doch eine unabhängige Presse gibt es in Russland nicht. „Fast alle Medien sind finanziell vom Staat abhängig“, berichtet Sergej Rudnew. Er ist Redakteur bei der Omsker Ausgabe der Zeitung „Kommersant“. In den letzten Jahren hat sich die russische Medienlandschaft stark verändert. Nur wenige der nationalen Zeitungen haben überlebt. An ihre Stelle sind viele Regionalzeitungen entstanden. Sie sind in der Regel von Konzernen oder den Lokalbehörden abhängig. Die großen Fernsehkanäle, die das Land weitgehend abdecken, sind in staatlicher Hand. Putins Medienpolitik zielt auf die Einschränkung der Pressefreiheit. Durch das Wahlgesetz wird die dürftige Informationslage noch weiter beschnitten. Zeitungskommentare über Parteien oder Kandidaten sind nicht erlaubt. „Das ist Zensur“, beklagt sich Rudnew. Im Wahlkampf sind nicht die Journalisten die Jäger, sondern die Gejagten. Die Meinungsbildung bleibt in Russland ein staatliches Monopol.
Damit seine Partei die Wahl gewinnt, braucht Putin Volkshelden, die den Fortschritt des Landes symbolisieren. Alexander Karelin ist ein solcher Tribun. Mit seinem Ehrentitel „Held Russlands“ darf der muskulöse Mann in der Galariege zum Staatsakt am Sonntag nicht fehlen.

Ende 

Wilhelm Siemers





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