Ukraine

Wie gefährlich ist der Rechte Sektor?

Im Keller des Hauptpostamtes von Kiew hängt noch immer Revolutionsluft. Zwischen Gasmasken, Tarnanzügen und Molotow-Cocktails räkeln sich ein paar verschlafene Gestalten. Hier, im Kiewer Hauptquartier des „Rechten Sektors“, hat sich im vergangenen Winter der rechtsradikale Flügel der Proteste gegen Präsident Viktor Janukowitsch organisiert, um Revolution zu machen – nicht auf friedlichem Weg, sondern mit Waffen.

Viele Mythen ranken sich um den „Rechten Sektor“. Vor allem im russischen Propaganda-TV wurde er als Beweis bemüht, um das Bild des „faschistischen Putsches“ von Kiew zu zementieren. Aber wie extrem und gefährlich ist der „Rechte Sektor“ wirklich?


"Wir haben keine Neonazis mehr im Rechten Sektor."

In einem Kellerraum prangt ein Hakenkreuz, in roten dicken Strichen an die Wand gemalt. Davor steht Oleksandr, der sich als Stabschef vorstellt, und ringt nach Worten. Der 39-Jährige trägt ein ukrainisches Trachtenhemd, am Ärmel hat er das rot-schwarze Logo des „Rechten Sektors“ eingenäht: „In den ersten Tagen der Revolution herrschte hier Chaos – da hat das eben jemand hingeschmiert. Wir hatten noch keine Zeit, das zu übermalen. Aber glauben Sie mir: Wir haben keine Neonazis mehr im Rechten Sektor.“

Tatsächlich liegen die Dinge komplizierter, als es zunächst scheint. Der „Rechte Sektor“ wurde im Winter gegründet und setzt sich aus bereits zuvor bestehenden rechtsextremen Gruppen zusammen. Inzwischen ist Dmytro Jarosch, der bisherige Chef der Organisation „Trizub“ (Dreizack) zum Anführer aufgestiegen. Er hat für das Präsidentenamt kandidiert und Versuche gezeigt, allzu radikale Gruppen zu zügeln oder aus der Organisation auszuschließen. Zumindest an der Spitze ist bisher niemand mit antisemitischen Aussagen aufgefallen. „Wir sind keine ausländerfeindliche, sondern eine nationalistische Partei“, sagte Jarosch zuletzt zur jüdischen Agentur Jewish News One.


Kein ideologischer Trend, sondern eine Modeerscheinung

Im Kiewer Stadtzentrum sind die rot-schwarzen Sticker des „Rechten Sektors“ allgegenwärtig. Die PR der Organisation sei genial, sagt der ukrainische Rechtsextremismus-Experte Anton Schechowtsow: „Der Name klingt einfach cool und gefährlich, das Logo ist gut gemacht, das zieht bei den Leuten.“

Laut Eigenaussagen hat die Organisation bereits 10.000 Mitglieder. Das halten Experten für weit übertrieben – im Februar wurde die Zahl der Anhänger noch auf maximal 300 geschätzt. Seither werden ständig neue Büros und Gruppen unter dem Namen „Rechter Sektor“ eröffnet. Das sei mehr eine Modeerscheinung als ein ideologischer Trend, sagt Schechowtsow: „Ich würde den ‚Rechten Sektor’ mit Sushi vergleichen: Anders als McDonalds, der seine Hamburger auf der ganzen Welt streng kontrolliert, kann heute jeder ein Sushi-Restaurant eröffnen.“


Vorbild Stepan Bandera

Der „Rechte Sektor“ sieht sich klar in der Tradition von Stepan Bandera. Der Nationalist führte im Zweiten Weltkrieg den Partisanenkampf gegen die Rote Armee, um eine unabhängige Ukraine zu errichten, und machte dabei auch gemeinsame Sache mit den Nazis. In der Westukraine wird er als Held, in der Ostukraine, aber auch in Russland, Polen und Israel als Nazi-Kollaborateur gesehen.

Faschisten wollen sie hier im Kiewer Hauptquartier des „Rechten Sektors“ keinesfalls sein. „Wir sind Nationalisten und keine Faschisten“, sagt Ruslan. Ruslan ist aus der Türkei, lebt aber schon seit zehn Jahren in Kiew und fühlt sich als Ukrainer. „Würdest du etwa nicht für dein Vaterland sterben?“ fragt er, während er seine Pistole entlädt.


Loyale Kämpfer für das Vaterland

Sterben für das Vaterland: Das ist wieder aktuell. Die Kämpfer des „Rechten Sektors“ gelten als loyal und nicht käuflich – anders als die ukrainischen Spezialeinheiten, die zuletzt bei den Kämpfen in der Ostukraine in Massen zu den Separatisten übergelaufen sein sollen. Hunderte Mitglieder des „Rechten Sektors“ bekämpften derzeit Separatisten im Donbass, sagt Oleksandr. Kurzfristig hat der „Rechte Sektor“ ein weiteres Hauptquartier im ostukrainischen Dnipropetrowsk eröffnet, um die Separatisten besser bekämpfen zu können.

Dass rechtsextreme Gruppen mit der Kiewer Regierung kooperieren, um im Osten der Ukraine zu kämpfen, wird von Experten scharf kritisiert. „Damit werden de facto die rechtsextremen paramilitärischen Gruppierungen legalisiert“, sagt der Politologe Wjatscheslaw Lichatschew. „Und das können wiederum die Separatisten in ihrer Propaganda ausschlachten.“ Die Regierung in Kiew steht vor einem Dilemma und hat doch keine andere Wahl.


Der Rückhalt in der Bevölkerung ist gering

Im „Foyer“ des Rechten Sektors hängt eine Zeichnung: Drei kugelige Figuren in dunkelgrün, mit Gewehren in der Hand. „Tod den Scharfschützen, dank den Kämpfern des Rechten Sektors“, steht in krakeliger Kinderschrift darüber. „Das hat ein kleines Mädchen einfach so vorbeigebracht“, erzählt Oleksandr, fast gerührt. Diese Zeiten sind heute weit weg: Der neue Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko hat angekündigt, den Maidan zu räumen. Auch der „Rechte Sektor“ wird weichen müssen – seit Kurzem sind Internet und Warmwasser abgedreht.

Auch in der Bevölkerung ist der Rückhalt für den „Rechten Sektor“ verschwindend gering. Bei den Präsidentschaftswahlen gaben nur 0,7 Prozent Jarosch ihre Stimme. Auch die rechte Partei Swoboda schnitt mit 1,16 Prozent kaum besser ab. „Es gibt einen starken Drang nach Konsolidierung – man will keine Ausschließungs-Politik, sondern jemanden, der das Land zusammenhält“, sagt Schechowtsow.


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