Gegenwind von den eigenen Medien
Jeden Freitag Abend liefert das rechtskonservativ-nationale Budapester HirTV einen Beweis besonderer Regierungstreue. In die Sendung P8 werden ausschließlich Vertreter und Anhänger der Orban-Regierung eingeladen. Dort dürfen sie unhinterfragt ihre Weltsicht darlegen. Gesprächsleiter sind zwei Gallionsfiguren des regierungstreuen Journalismus in Ungarn: Peter Csermely, stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung Magyar Nemzet, und Otto Gajdics, Chefredakteur des Lanchid Radio.
Doch derzeit schreibt Csermely in Leitartikeln Sätze wie: „Jetzt geht die Regierung der Pressefreiheit wirklich an die Gurgel.“ Und Otto Gajdics sagt im Gespräch: „Es ist bedauerlich, dass die Regierung unsere Argumente nicht berücksichtigt. Wir werden uns wehren.“
Sendepausen und leere Zeitungsseiten
Anlass für solche überraschende Kritik ist eine Sondersteuer für Medien, die von Orbans Regierung am vergangenen Mittwoch (11. Juni) im Blitzverfahren eingeführt wurde. Sie sieht vor, dass die Werbeeinnahmen von Medienunternehmen in Ungarn künftig progressiv und zum Teil drastisch besteuert werden – zusätzlich zu den ohnehin anfallenden Steuern. Werbeeinnahmen unter 500 Millionen Forint (rund 1,6 Millionen Euro) bleiben steuerfrei, danach folgen, gestaffelt nach Einnahmen, Steuersätze von 10 bis 30 Prozent, ab Einnahmen von 20 Milliarden Forint (rund. 65 Millionen Euro) fallen satte 40 Prozent Steuern an.
Der Entwurf des Gesetzes war ohne große Debatte verabschiedet worden – und das obwohl Ungarns Medien zuvor eine einmalig große Protestaktion organisiert hatten: Rund 60 private Fernseh- und Radiosender, Zeitungen, Magazine und Online-Portale, darunter auch die wichtigsten regierungstreuen privaten Medien, hatten in der vergangenen Woche mit Sendepausen und weißen Zeitungsseiten gegen die Steuer protestiert.
Vom höchsten Steuersatz ist unter anderem der Sender RTL betroffen, der ein überwiegend politikfreies Programm ausstrahlt, dessen Nachrichtensendung RTL Hirado jedoch bisher nicht von der Regierung kontrolliert wird. Politiker aus Orbans Partei Fidesz werfen RTL und anderen kommerziellen Sendern vor, sie verursachten mit ihren Programmen „bedeutende gesellschaftliche Schäden“, die Werbesteuer sei eine „hygienische Produktsteuer“ gegen Schund.
Unternehmen trauen sich immer weniger, zu inserieren
Ungarns Medien betrachten das Gesetz jedoch nahezu einhellig als weiteren Angriff auf die Pressefreiheit in Ungarn. „Es ist eine Warnung an alle noch unabhängigen Medien in Ungarn“, sagt Csaba Nagy, Chefredakteur des unabhängigen Portals 168ora.hu. „Die Botschaft lautet: Wenn ihr euch nicht so verhaltet, wie wir es wollen, verabschieden wir binnen einer Woche ein Gesetz, mit dem wir euch fertigmachen.“
Andreas Rudas, der Osteuropa-Chef der luxemburgischen RTL Group, spricht von einem „direkten Angriff auf alle freien und unabhängigen Medien in Ungarn“ und fordert die EU-Kommission zum Einschreiten auf: „Es kann nicht sein, dass es mitten in Europa ein Land gibt, in dem demokratische Grundrechte wie die Medienfreiheit zur Disposition stehen.“
Es ist nicht das erste Mal, dass die Pressefreiheit in Ungarn beschnitten wird. Ende 2010 verabschiedete Orbans Regierungsmehrheit ein bis heute umstrittenes Mediengesetz, mit dem unter anderem die öffentlich-rechtlichen Medien unter Regierungskontrolle gebracht wurden. Auf unabhängige private Medien wird indirekt Druck ausgeübt. „Unternehmen trauen sich immer weniger, bei uns zu inserieren”, sagt Csaba Nagy, „sie fürchten, staatliche Aufträge zu verlieren oder schikaniert zu werden.“
In Rankings weit abgerutscht
Was Nagy beschreibt, wird auch von einem anderen aktuellen Medienskandal illustriert: In der vergangenen Woche wurde Gergö Saling, der Chefredakteur des privaten Portals origo.hu, dem zweitgrößten News-Portal Ungarns, entlassen - mutmaßlich, weil Origo über horrend teure Luxusreisen berichtet hatte, die Orbans mächtiger Kanzleichef Janos Lazar auf Staatskosten unternommen hatte. Begründet wurde Salings Entlassung mit „internen Umstrukturierungen“.
Infolge dieser Art von Medienpolitik ist Ungarn im weltweiten Ranking der Pressefreiheit von Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ oder „Freedom House“ in den letzten Jahren weit abgerutscht. Derzeit befindet es sich als einziges mitteleuropäisches Land in der Kategorie der Länder mit nur teilweise freier Presse.
Auch der Lanchid Radio-Chefredakteur Otto Gajdics sieht die Pressefreiheit in Ungarn in Gefahr – und kündigt an, dass es auch im Lager der Orban-treuen Medien weitere Proteste geben werde: „Ich bin einverstanden, etwas gegen Schund zu unternehmen. Aber die Werbesteuer bewirkt, dass man die Fabrik kaputt macht, statt sie zu zwingen, bessere Produkte herzustellen.“