Versteckt in Theresienstadt
„Ich war doch eine stolze Jüdin“, sagt Maud Beer über den Tag, an dem die Nazis ihren Schlafraum filmten. 1929 wurde sie als Maud Stecklmacher im mährischen Prostejov (Prossnitz) geboren, seit 1942 teilte sie sich mit 23 anderen Mädchen ein kleines Zimmer im Mädchenheim des Theresienstädter Ghettos. Im Sommer 1944 wurde das Zimmer zu einer der Kulissen für den Propagandastreifen „Theresienstadt“.
Für diesen Zweck wurde der Raum besonders schön hergerichtet – die Nazis wollten der Welt vorgaukeln, den Menschen in Theresienstadt gehe es gut. Eine Kommission des Internationalen Roten Kreuzes hatte das Konzentrationslager bereits im Juni 1944 besucht; schon damals war das Ghetto eigens „verschönert“ worden. Was die Inspekteure zu sehen bekamen, war genauso falsch wie die Behauptung der Nazis, bei Theresienstadt handele es sich um eine „jüdische Mustersiedlung“.
Ein Ablenkungsmanöver der Nazis
Im Vorfeld der Besichtigung waren Cafés sowie ein „Kinderpavillon“ eingerichtet worden, die den Eindruck von Normalität vermitteln sollten. Die extra angelegten Sanitäranlagen funktionierten nicht. Trotzdem wurden sie von den Inspekteuren abgesegnet. Anstatt sie zu testen, ließen sich die Kommissionsmitglieder auf die Ablenkungsmanöver der Nazis ein und wohnten mit ihnen einer Kinderoper des 1942 ins Ghetto deportierten tschechischen Komponisten Hans Krasa bei.
Krasa wurde wie auch die meisten Schauspieler des wenige Wochen später gedrehten Films, allesamt Zwangsarbeiter aus dem Konzentrationslager, kurz darauf nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dasselbe Schicksal widerfuhr dem Regisseur des Films, dem berühmten jüdischen Künstler Kurt Gerron.
Die nationalsozialistische Propaganda über Theresienstadt war von nachhaltigem Erfolg. Nicht zuletzt dank des später unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekanntgewordenen Films hielt sich noch lange der absurde Eindruck, bei Theresienstadt habe es sich um ein „erträglicheres“ Konzentrationslager gehandelt. In Wirklichkeit starb ein Viertel der Einwohner Theresienstadts – vor allem der unmenschlichen Lebensumstände wegen. Fast 90.000 weitere wurden in Vernichtungslager deportiert, die meisten nach Auschwitz. Nur wenige von ihnen überlebten.S
Sie versteckte sich auch vor der Deportation
Maud Beers beste Freundin Ruth war in einem der ersten Züge, die nach Auschwitz fuhren. „Sie war 13 Jahre alt, als sie ging. Und nicht einmal einen Monat in Theresienstadt.“ Anders als Ruth überlebte Maud Beer den Holocaust. Warum, das fragt sie sich bis heute. „Es war Zufall“, lautet ihre Antwort. Sechs Mal hätte sie nach Auschwitz deportiert werden sollen, sechs Mal konnte sie sich in der Nähe des Zuges verstecken. Beim letzten Mal fuhr ihr Koffer ohne sie nach Polen.
Dass sie sich bei den Abtransporten versteckte, bereitet der Überlebenden bis heute Gewissensbisse. „Ich habe darüber vor ein paar Jahren mit einer Freundin aus Prag gesprochen. Sie sagte zu mir: Das war falsch. Dass du nicht gefahren bist, bedeutet, dass jemand anderes fahren musste. Die Züge mussten voll sein.“
Maud Beer hat viele Angehörige in der Schoah verloren, darunter auch ihren Vater Fritz. „Ich hatte einen prima Vater“, sagt die heute 85-Jährige mit Nachdruck. Kurz bevor Friedrich Stecklmacher in Theresienstadt Selbstmord beging, begegnete Maud ihm zufällig auf der Straße. „Er erzählte mir, dass der Onkel und die Tante, die im Zug weggefahren waren, nicht mehr leben. Und bat mich, es meiner Mutter nicht zu sagen.“
Ihr Vater beging Selbstmord
Zwei Tage später sprang Mauds Vater in den Tod. Auf der Sterbeurkunde ist von Selbstmord nicht die Rede. Suizide, die im KZ geschahen, versuchten die Nazis zu vertuschen – widerlegten sie doch die Legende der „jüdischen Mustersiedlung“.
In ihrer Wohnung in Tel Aviv hat Maud Beer noch die Abzüge der Fotos aus ihrer Kindheit. Alle Originale hat sie dem Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C. übergeben. Zu fast jedem Foto kann sie eine Geschichte erzählen, sie weiß von jeder ihrer Freundinnen, ob sie den Holocaust überlebt haben. „Ich habe ein gutes Gedächtnis“, sagt Maud Beer. Ein Segen ist das nicht. „Ich kann es einfach nicht vergessen“, sagt sie.
Auch die meisten der zwangsrekrutierten Kinderdarsteller aus dem Theresienstadt-Film kamen in Auschwitz ums Leben. Maud Beer ist in dem Streifen nicht zu sehen. „Ich bin auf die Propaganda nicht hereingefallen“, sagt sie heute. „Sie taten ja so, als sei es eine tolle Gelegenheit in einem Film ‚aufzutreten’. Ich wollte da auf keinen Fall mitmachen und habe mich versteckt – wie so oft.“