Russland

Putin will populäre Blogger kontrollieren

Es klang wie ein Abschied: Der beliebte russische Blogger Oleg Kosirew erklärte Anfang Mai, dass er Leser-Kommentare unter seinen Texten auf der in Russland meistgenutzten Blog-Plattform Livejournal.com fortan nur nach Prüfung freigeben und aus Zeitgründen nicht alle abarbeiten werde.

Sprich: Die Debatte wird künftig einschlafen – weil die Teilnehmer gar nicht zu Wort kommen. Kosirew reagierte damit auf ein kurz zuvor von Präsident Wladimir Putin unterzeichnetes Blogger-Gesetz.
Das Gesetz ist ein neues Puzzleteil in der fortschreitenden Regulierung des Internets in Russland. Es tritt zum 1. August in Kraft und zielt in erster Linie auf die populären kritischen Geister im Netz. Also auf diejenigen, die ein Publikum haben. Anders ist nicht zu erklären, dass eine neu etablierte staatliche Registrierungspflicht ausschließlich auf Blogger mit mehr als 3.000 täglichen Lesern zukommen soll. 

Wie das Portal newsru.com schreibt, könnten Blogger auf diese Weise rechtlich analog zu Massenmedien für die Verbreitung von Unwahrheiten, Schimpfwörtern oder Verleumdung belangt werden. Darauf liegen Geldstrafen. Auch sind sie verpflichtet, alle Leser-Kommentare sechs Monate lang zu speichern. 

Genau daraus hat Blogger Oleg Kosirew die Konsequenzen gezogen. Angst scheint er weniger vor möglichen strafrechtlichen Problemen zu haben, eher vor der Sperrung seines Blogs, „wenn da nur irgendein Troll einen garstigen Kommentar abgibt“. 


„Propaganda. Und noch mal Propaganda“

Netzaktivist Artjom Kosljuks Befürchtungen gehen in eine ähnliche Richtung. Er ist der Kopf der Initiative „Roskomsvoboda“ für ein freies Internet und laut Nachrichtenagentur rosbalt.ru davon überzeugt, dass mit dem neuen Gesetz noch mehr offizielle Gründe für mögliche Internetsperren etabliert werden sollen. 

Bisher sind sie wegen Kinderpornografie, Anleitungen zum Selbstmord, Drogenverherrlichung, Terrorismus, Extremismus und beim „Aufruf zu Massenunruhen“ möglich.

Unterdessen macht sich Desillusion im Netz bemerkbar, zum Beispiel bei der Moskauer Bloggerin Aljona Popova. „Das Gesetz gegen Blogger und noch eine Reihe von Gesetzen, die Verbote oder Einschränkungen aussprechen. Ukraine. Tod. Tod. Propaganda. Und noch mal Propaganda“, notiert sie auf Facebook. Für sie spielt auch die Ukraine-Krise hinein in den härteren Kurs gegen die Zivilgesellschaft. 

Das Blogger-Gesetz selbst geht noch als Teil eines Antiterror-Paketes auf die blutigen Anschläge in der südrussischen Metropole Wolgograd mit 14 Toten und mehr als 40 Verletzten im Dezember zurück. Die Drahtzieher des Attentats sind noch immer nicht gefunden. Zugleich reiht es sich ein in eine Serie von Vorstößen, die im russischen Parlament diskutiert werden. Gerade erst hat die Duma etwa in erster Lesung über ein strengeres Versammlungsrecht beraten – begründet mit direktem Verweis auf den Kiewer Maidan.


Erzwungene Selbstzensur

Bisher wurde nur ein Blog in Russland komplett abgeschaltet, und zwar der einflussreichste im Land: der von Alexei Nawalny, dem ehemaligen Moskauer Bürgermeisterkandidaten, der bekannt für seine Enthüllungen zu Korruption in der politischen Elite ist. 

Nawalny steht seit Monaten unter Anklage wegen Veruntreuung und unter Hausarrest. Weil das ein Internetverbot einschließt, machte die Generalstaatsanwaltschaft im März, kurz vor dem Referendum auf der Krim, kurzen Prozess und nahm seine Seite vom Netz. Nawalny leitet seitdem auf andere Server um.

Das neue Blogger-Gesetz zeigt derweil indirekt schon Wirkung: Die Suchmaschine „Yandex“, das russische Pendant zu Google, hat die Charts der meistgelesenen Blogs von ihrer Seite gestrichen - um die Klickzahlen zu verdecken. Damit dürfte „Yandex“ genauso wie Blogger Kosirew faktisch etwas dem Kreml sehr Genehmes vollzogen haben: Selbstzensur.


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