Ukrainische Stimmen vor den Wahlen
Andrej Kurkow ist ukrainischer Schriftsteller aus Kiew. Er schreibt in russischer Sprache. Im Dezember schrieb er in ostpol über das Verhältnis zwischen der EU und der Ukraine. Kürzlich sagte er im Literaturhaus Berlin:
„Eigentlich habe ich schon seit langem entschieden, für Petro Poroschenko zu stimmen. Ich kenne ihn persönlich seit vielen Jahren, seit der Orangenen Revolution. Da mehr als 40 Prozent der Leute ihn unterstützen, ist die Hauptsache, dass wir einen Präsidenten bekommen. Es ist nicht so wichtig, ob er oder jemand anderes; es muss jemand sein, der das Vertrauen der Mehrheit hat. Ich hoffe, wir bekommen viele Beobachter aus der EU für die Präsidentenwahlen. Und Deutschland und europäische Politiker müssen alles begleiten bis zum Ende der Verfassungsreform, denn alles muss transparent sein.“
Natalja Kusnezowa gibt am Sonntag ihre Stimme in der ukrainischen Botschaft ab. Eine Entscheidung hat sie noch nicht gefällt.
„Meiner Meinung nach kommen als Kandidaten Anatoli Grizenko und Olha Bohomolez in Frage, sie ist eine Ärztin. Grizenko ist so eine Art Don Quijote, eigentlich. Er ist sehr charmant, hat aber keine Partei - Bohomolez auch nicht. Beide haben keine große Chance, aber ich habe Vertrauen zu diesen Leuten. Sie sind nicht korrupt, keine Oligarchen. Petro Poroschenko ist ein erfahrener Politiker, aber ich habe kein Vertrauen zu ihm. Wird er gewählt, kommt er auf den Prüfstand. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber ich bin der Meinung, dass Putin die Ukraine nicht in Ruhe lassen wird. Denn er hat tierische Angst vor der ukrainischen Revolution und um seine eigene Macht. Wenn sich ein guter europäischer ukrainischer Staat entwickelt, kann die Ukraine aus seiner Sicht ein gefährliches Vorbild für die Russen sein.“
Jurko Prochasko ist ein Essayist und Germanist aus Lwiw/Lemberg in der Westukraine.Im Literaturhaus Berlin diskutierte er unlängst über politische Handlungsspielräume und die künftige Orientierung der Ukraine in Europa.
„Ich wünsche mir für die Wahl am Sonntag, dass es möglichst keine Todesopfer gibt. Das ist das Einzige, was ich mir wünsche. Petro Poroschenko hat allem Anschein nach die höchsten Chancen. Viel wichtiger sind mir aber die Parlamentswahlen und wirkliche Reformen. In diesem politischen System spielt der Präsident sowieso eine untergeordnete Rolle und es ist vielmehr diese politische Trägheit, dass man glaubt, dass der Präsident etwas ganz Wichtiges wäre. Durch die Maidan-Bewegung – das haben wir gefühlt – sind wir andere Menschen geworden. Mit diesem Gefühl wünsche ich mir, dass wir Kraft haben, weiterhin darauf zu achten, dass das, was wir uns erträumt haben mit dieser Revolution, auch umgesetzt wird.“
Paulo Lypowka lebt seit 2008 in Berlin und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität. Der 26-Jährige stammt aus der Ostukraine.
„Es gibt einige recht gute Politiker, für die ich Sympathien hege, Arseni Jazenjuk zum Beispiel oder Petro Poroschenko. Aber ich komme aus Jenakijewe, rund 40km entfernt von Donezk – die Stadt, in der Janukowitsch geboren wurde. Wen ich wähle, kann ich noch nicht beantworten. Das Problem ist, dass es unter den Kandidaten nur wenige gibt, die den Osten der Ukraine vernünftig vertreten können. Deswegen ist die Motivation nicht da, diese Übergangspolitiker zu wählen. Meine größte Hoffnung ist, dass es keinen Bürgerkrieg gibt: Man muss die Leute ansprechen, Dialog suchen, Kompromisse finden. Da ich allerdings keinen Kandidaten sehe, mit dem sich die Bürger aus dem Osten identifizieren, ist für mich auch keine kurzfristige Lösung in Sicht.“
Olena Kulygina, eine 24-jährige Studentin, stammt aus einer kleinen Stadt in der Ostukraine im Gebiet Luhansk. Wegen einer Recherchereise weiss sie noch nicht, ob sie am Sonntag wählen können wird.
„Ich kann nicht sagen, wem ich als Bürgerin der Ukraine meine Stimme geben würde – jedenfalls nicht in Richtung der Vertreter der alten Regierung. Auch Timoschenko als Politikerin würde ich nicht unterstützen. Am wichtigsten ist, dass die Wahlen jetzt stattfinden, damit es einen einheitlichen politischen Kurs geben kann; sonst werden diese Widersprüche im Osten nie aufhören. In Zukunft ist am wichtigsten, uns ungeachtet aller ethnischer Zugehörigkeiten und Unterscheide darauf zu konzentrieren unsere Gesellschaft und Wirtschaft weiterzuentwickeln.“
Markijan Janyschewski lebt seit 2010 in Deutschland und promoviert im Fach Kommunalrecht an der Universität Potsdam. Der 26-Jährige stammt aus Lemberg in der Westukraine.
„Mit Blick auf die politische Lage glaube ich, dass die Figur von Petro Poroschenko die passende für eine Einigung der Ukraine ist und ein Entwicklungsprogramm für die nächsten Jahre vorschlagen kann, das unser Land dringend braucht. Was das Handeln der EU und USA angeht: Man soll nicht mehr ewig lang über die dritte Stufe der Sanktionen reden, sondern diese tatsächlich einführen: Nur wenn Export-Verbote für mehrere Industriezweige erfolgen, wird Putin überlegen, ob er weiter so handelt wie bisher. In der Ukraine selbst muss endlich ein gesamtgesellschaftlicher Dialog stattfinden, zwischen Westen, Osten, Süden und Norden und das Konzept einer neuen Ukraine herausgearbeitet werden.“
Irina La Licata ist Ukrainerin mit deutscher Staatsbürgerschaft. Sie kann daher nicht selbst wählen, spricht aber viel mit ihren ukrainischen Freunden darüber. Sie stammt aus Luzk in der nordwestlichen Ukraine.
„Ich würde Oleh Ljaschko wählen und das empfehle ich auch meiner Mutter und allen anderen, die ich kenne, weil er ein ehrlicher Landsmann ist. Er ist kein Oligarch, er ist jemand, der gegen Missstände kämpft. Ich wünsche mir, dass der Krieg zu Ende geht – wir denken, dass es ein Krieg ist – es darf nicht sein, dass jemand einfach Territorien besetzt und die Leute dort darunter leiden. Wir haben immer noch viele Familienangehörige und Freunde in der Ukraine und sind sehr besorgt. Hoffentlich hilft die Präsidentenwahl – und natürlich wünschen wir uns, dass die Ukraine bald in Europa ist.“
Julia Klymenko lebt seit 2012 in Berlin und studiert Soziale Arbeit. Die 28-Jährige stammt aus der Region Kiew, nicht weit entfernt von Tschernobyl.
„Ich entscheide mich für Petro Poroschenko, denn es gibt keine andere Alternative. Ich hoffe sehr, dass die Wahl anerkannt wird: nicht nur von der ganzen Ukraine, sondern auch von Russland. Ich weiß, wir sollten das nicht erwarten – aber in dieser Situation ist es doch wichtig. Ehrlich gesagt habe ich wenig Hoffnung für mein Land: Ich kenne unsere Leute, und besonders die Leute im Osten der Ukraine sind zu passiv. Ich hoffe, dass alles gut wird, aber wie lange es dauert, das ist die andere Frage: Sind die Leute bereit zu harter Arbeit? Ich weiß nicht, ob der Maidan diese Einstellung verändert hat. Eigentlich ist das echt traurig.“