Vom TV-Moderator zum Agitator gegen Korruption
Die Felswände des bulgarischen Balkangebirges überragen das Städtchen Vratsa. Eine speaktuläre Kulisse, Vratsa könnte ein Touristenort für Kletterer und Höhlenwanderer sein. Doch nur selten verirrt sich ein Reisender in den Nordwesten Bulgariens, der als ärmste Region der Europäischen Union gilt. Die Schlangenlinien fahrenden Autofahrer auf der Einfallstraße sind nicht betrunken, sie versuchen, Reifenschäden zu vermeiden. Aus den größten Kratern auf der Straße ragen Autoreifen als Warnsignale.
Löchrige Straßen, Arbeitslose und verarmte Rentner – Bulgariens Probleme zeigen sich am drastischsten in nordwestbulgarischen Städten wie Vratsa, Montana und Vidin. Das Land ist das ärmste der EU, es gilt als besonders korrupt. Viele Bürger haben ihre Armut und die Vetternwirtschaft satt. Seit über einem Jahr schwelt hier eine Regierungskrise, monatelang gingen die Menschen auf die Straße.
Arbeiter, Moderator, Politiker
Nikolai Barekov, Chef der Partei „Bulgarien ohne Zensur“, verspricht seinen Zuhörern im überfüllten Theater von Vratsa Aufbauhilfe für ihre vernachlässigte Heimat. „Alle Regionen Bulgariens benötigen unseren Einsatz, am dringendsten aber der Nordwesten. Für ihn braucht es ein eigenes Entwicklungsgesetz“, erklärt der 41-Jährige.
„Ich habe alles erreicht“, deklamiert der Politiker von der Theaterbühne: Mit siebzehn Jahren Arbeiter, mit dreißig ein prominenter TV-Moderator, mit vierzig Direktor dreier Fernsehkanäle. „Doch ich kann euch sagen, es ist zwar toll, alles zu besitzen, schnelle Autos zu fahren und zu reisen, aber nichts ist so schön wie das Lächeln im Gesicht der Menschen, für die man sich einsetzt“.
Als Moderator der Frühstückssendung des größten privaten TV-Senders bTV ist Nikolai Barekov bekannt geworden. Als Direktor und Moderator des Kanals TV 7 aber handelte er sich zuletzt Hohn und Spott ein – wegen seiner allzu offenen Parteinahme für den damals amtierenden Ministerpräsidenten Boiko Borissov.
Als Demonstranten gegen hohe Energiekosten Borissov im Februar 2013 aus dem Amt zwangen, rückte Barekov abrupt von ihm ab und schlug sich auf die Seite der protestierenden Massen. Seitdem geriert er sich als Borissovs erbittertster Feind, nennt ihn „eine Kakerlake, die in fremder Leute Küchen Essen klaut“, und bezichtigt ihn öffentlich, ihm nach dem Leben zu trachten.
Der Parteiführer von „Bulgarien ohne Zensur“ (BBZ) ist seit Monaten omnipräsent in Bulgariens Öffentlichkeit: An Gebäuden und entlang der Autobahnen hängen seine hellblauen Wahltransparente mit der Listennummer 28 und einer stilisierten Version der Rosette von Pliska, einem mittelalterlichen Bronze-Medaillon aus Ostbulgarien. „Wir Bulgaren verdienen mehr“, lautet der Partei-Slogan. Mit seinem Parteinamen „Bulgarien ohne Zensur“ distanziert sich Barekov von seiner Vergangenheit, will unmissverständlich klar machen, dass er kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, sondern Misstände beim Namen nennen will.
Kein anderer Europa-Kandidat führt einen derart offensiven und medialen Wahlkampf wie der Start-Up-Politiker Barekov. Morgens gastiert er in Talkshows, mittags verteilt er öffentlich Hackfleischröllchen oder Lamm-Eintopf an Bedürftige, abends überträgt der Fernsehsender Kanal 3 seine Wahlkampfauftritte in Bulgariens Regionalstädten. Barekovs Wahlshow wird wirkungsvoll umrahmt vom Ballett der in Bulgarien legendären Gymnastiktrainerin Neschka Robeva.
Ein Start-Up-Politiker
Über Jahre hinweg hat Ex-Regierungschef Borissov gezeigt, dass man allein mit Charisma Wahlen gewinnen kann. Nun will Barekov ihm es gleichtun. „Wir sind nah bei den Menschen“, sagt er und verspricht eine Überraschung bei den Europawahlen. Er hält gar den Wahlsieg für möglich. In seinem Optimismus lässt er sich von Meinungsumfragen nicht beirren, die dem Wahlbündnis aus seiner BBZ und drei Kleinstparteien lediglich Chancen einräumen, zur viertstärksten politischen Kraft zu werden und ein oder zwei Abgeordnete nach Straßburg zu entsenden.
Aktuelle Wahlprognosen sehen die in Sofia regierende sozialistische BSP und Borissovs konservative GERB-Partei im knappen Rennen um Platz Eins, dahinter die Partei der bulgarischen Türken, DPS. Doch sollte Barekov auch der ganz große Coup nicht gelingen, so hält er allein seinen Einzug ins Straßburger Parlament für ausreichend, um einen politischen Erdrutsch auszulösen. „Wir sind dann die größte außerparlamentarische Oppositionspartei“, sagt er und kündigt an, die bereits zu ihm übergelaufenen drei Parlamentsabgeordneten zum Auszug aus der Bulgarischen Volksversammlung zu bewegen, um so parlamentarische Neuwahlen zu erzwingen.
Straßburg ist für Barekov nur eine Etappe, sein eigentliches Ziel ist das Amt des Regierungschefs. „Wenn ich Ministerpräsident werde, bringe ich Bulgarien in fünf Jahren auf den richtigen Kurs“, verspricht er seinen Fans im Theater von Vratsa. Diese reagieren mit freudigem Applaus und schwenken ihre Fahnen.
Operation „Saubere Hände“
Für den Start seiner politischen Karriere hat sich Barekov ein buntes Wahlbündnis geschmiedet. Außer seiner BBZ gehören dazu die „Nationale Landwirtschafts-Union“, die Intellektuellenkreisen entsprungene „Bewegung Gergiovden“ und die nationalistische „Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation“. „Links und rechts haben in Bulgarien ihre Bedeutung verloren“, räsoniert der Parteiführer beim Vieraugengespräch in einem Vratsaer Hotel. „Wir sind eine zentristische Partei und ganz europäischen Werten verpflichtet.“
Barekovs Kritiker indes halten seine Wahlkampfversprechen für Populismus. Dazu gehören kostenlose Gesundheitsversorgung für Kinder, Mütter und Rentner, Erhöhung der Pensionen um 20 Prozent, mehr Geld für Polizisten und die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Wie Barekov diese Maßnahmen in einem armen Land wie Bulgarien finanzieren will? „In unserem Land wird so viel gestohlen. Wenn dem ein Ende bereitet wird, ist genug Geld da für die Umsetzung unseres Wahlprogramms“, gibt sich Barekov zuversichtlich.
Barekovs Priorität ist seine „Operation Saubere Hände“ – die Verpflichtung für Politiker und öffentliche Funktionsträger, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen. Vielen Beobachtern erscheint indes gerade die Finanzierung des „Projekts Barekov“ undurchsichtig. „Unser Wahlkampf ist nicht teuer, ein paar Saalmieten, das Bisschen Benzin für die Autos“, wiegelt Barekov ab und erklärt, seine Partei finanziere sich durch Spenden.
Manche Beobachter vermuten jedoch das Geld des einflußreichen Bankers Tsvetan Vassilev von der Korporativna Targovska Banka (KTB) als Treibstoff für Barekovs politischen Wanderzirkus. Die KTB hat in den vergangenen Jahrеn viel Geld in Medien investiert, darunter auch in Barekovs Sender TV 7. Alle der KTB nahestehenden Medien taten sich in den vergangenen Jahren durch unverhüllten Kampagnenjournalismus zu Gunsten der jeweils Regierenden hervor. Da erscheint Barekovs Seitenwechsel vom Journalismus in die Politik nur als Fortsetzung dieser Lobby-Strategie mit anderen Mitteln.