Moldawien

Transnistrer streben nach Russland

Am Tag nach dem Gewaltausbruch in Odessa sitzt Anna Jareschko in ihrer Wohnung in Tiraspol und wartet unruhig auf ihren erwachsenen Sohn, der von einem Verwandtenbesuch in der ukrainischen Hafenstadt zurückkehren sollte. Odessa liegt nur knapp 100 Kilometer östlich von Tiraspol, dem Zentrum des von der Republik Moldau abtrünnigen Gebiets Transnistrien.

Der Konflikt im Nachbarland beunruhigt die Menschen hier schon lange. Am Freitag aber ist die Krise ganz nah an Transnistrien herangerückt: „Wir alle haben hat Verwandte und Freunde in Odessa“, sagt Jareschko, die in Wirklichkeit anders heißt, aber ihren Namen nicht öffentlich nennen will. „Die Tragödie versetzt jeden hier in Schrecken.“


Russland hilft mit Rentenaufstöckungen und günstigem Gas

Nicht nur in Transnistrien, auch im Westen wachsen die Sorgen. Bereits vor Wochen warnte Nato-Oberkommandant Philip Breedlove vor einem möglichen Durchmarsch russischer Soldaten aus dem Osten der Ukraine bis nach Transnistrien. So könnte Russland einen Landkorridor zur annektierten Halbinsel Krim und darüber hinaus schaffen.

Zudem wächst die Angst, dass es in der abtrünnigen Republik Transnistrien zu einem neuen Krim-Szenario kommt. Die Mehrheit der halben Million hier lebenden Menschen – zu je etwa einem Drittel Russen, Ukrainer und Moldauer – ist russischsprachig und nach Moskau orientiert. Russland protegiert Transnistrien, stockt Renten auf und pumpt günstiges Gas in die arme und isolierte Region.

Bereits 2006 gab es ein Referendum, in dem 97 Prozent der Einwohner für die Unabhängigkeit Transnistriens und den anschließenden Beitritt zur Russischen Föderation stimmten. Daran habe sich nichts geändert, heißt es bis heute.


Transnistriens Präsident will „zivilisierte Scheidung“ von Moldau

Von Moldau indes fordert Transnistriens Präsident Jewgenij Schewtschuk eine „zivilisierte Scheidung“. Transnistrien hatte sich 1990 für unabhängig erklärt, seit dem Ende eines Bürgerkriegs im Jahr 1992 funktioniert die Region faktisch wie ein Staat, den aber kein anderes Land anerkannt.

Jüngst haben Schewtschuk und das Parlament Transnistriens an die Vereinten Nationen, die Europäische Union und Russland appelliert, die Souveränität Transnistriens zu akzeptieren. Inzwischen sammeln auch die Bürger in Tiraspol Unterschriften, um die Forderung zu unterstützen.

Unweit des Parlaments mit der großen Lenin-Statue davor steht ein kleiner Pavillon, an dem junge Leute Passanten ansprechen und für die Unterzeichnung werben. Etwas weiter, vor dem Reiterdenkmal des russischen Feldherrn und Stadtgründers Alexander Suworow sowie vor dem mit Säulen verzierten Rathaus sammeln sie ebenfalls.

Viele der Unterzeichner hoffen, dass ihr Leben mit Russland besser wird. Eine junge Frau Ende 20 erklärt, sie unterschreibe aus moralischen Gründen: „Weil ich hier aufgewachsen bin“. Die Unterschriften will man am 9. Mai, während der Militärparade zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs, an den russischen Vizepremier und Transnistrien-Beauftragten Dmitrij Rogosin überreichen.


Europa-Befürworter müssen Schikanen fürchten

Aber nicht jeder will ein Teil Russlands werden. Vor allem Bürger mit moldauischen und rumänischen Wurzeln befürworten die Einheit mit Moldau – und einen Kurs in Richtung Europa. Dafür muss die Minderheit jedoch Schikanen und Diskriminierungen der Behörden fürchten.

Anna Jareschko erklärt hingegen: „Transnistrien wäre gerne ein Teil Russlands.“ Sie glaubt jedoch, wie viele andere in der Gegend, nicht an eine schnelle Lösung für Transnistrien. Schließlich hätte Russland die Region ja schon vor Jahren aufnehmen können. Doch ihm nutzt Transnistrien als abtrünnige Region oder gar als Teil einer moldauischen Föderation mehr, um Einfluss auf das gesamte Land auszuüben.

Dass Männer aus Transnistrien mit russischem Pass angeblich nicht mehr die Grenze zum Nachbarland Ukraine passieren dürfen, ist seit Wochen ein Ärgernis in Tiraspol. Kiew wolle verhindern, dass sie pro-russische Proteste in der Ukraine unterstützen, heißt es.

Dennoch: Unter den pro-russischen Aktivisten, die am Freitag im brennenden Gewerkschaftshaus von Odessa starben, sollen laut Medienberichten mehrere Menschen aus Transnistrien gewesen sein. Auch unter den nach den Unruhen Festgenommenen waren nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums Personen aus der benachbarten Region.


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