Deutschland

Ist die EU jetzt groß genug?

ostpol: 74% der Deutschen sind Umfragen zufolge dagegen, in den nächsten Jahren neue Länder aufzunehmen. Ist die EU jetzt groß genug?

Timm Beichelt ist Professor für Europastudien an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder. / Heide Fest, Europa-Universität Viadrina     
Timm Beichelt ist Professor für
Europastudien an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt / Oder.
Foto: Heide Fest, Viadrina

Timm Beichelt: Angesichts der Debatten über Armutseinwanderung sollte man abwägen: Ist es wichtiger, dass sich einzelne Gesellschaften von der Politik der EU nicht überfordert fühlen? Oder ist es wichtiger, dass ärmere Staaten in Europa die Chance bekommen, an der Wohlfahrtsentwicklung innerhalb der EU teilzuhaben? Letztlich ist das eine politische Entscheidung. Ich persönlich finde es wichtiger, die europäische Entwicklung zu fördern und so langfristig den Zusammenhalt in Europa zu stärken. Das bedeutet dann auch, sich neuen Mitgliedstaaten nicht zu verwehren.

Gilt das auch für die Ukraine? Die neue Regierung in Kiew hat vor kurzem ein Abkommen mit der EU über politische Zusammenarbeit und Angleichung an EU-Standards unterschrieben.

Beichelt: Die Ukraine war in den vergangenen 15 Jahren der am schlechtesten regierte Staat Europas. Solange die ukrainischen Eliten weiter korrupt sind und die Politik als Selbstbedienungsladen verstehen, wird es keinen EU-Beitritt geben. Die Frage ist, ob sich unter dem Druck der aggressiven neoimperialen Politik Russlands jetzt etwas ändert. Vielleicht sind Länder wie Moldau, dessen Bürger ab Ende April ohne Visum in die EU reisen dürfen, ein Anreiz für die ukrainische Politik, etwas zu ändern.

Immer wieder liest man, dass Neumitglieder bei ihrem Beitritt die Anforderungen der EU nicht erfüllen. Beim Beitritt Kroatiens im vergangenen Jahr beispielsweise gab es Kritik wegen der grassierenden Korruption.

Beichelt: Bei Kroatien war die Hürde für den EU-Beitritt viel höher als bei früheren Erweiterungsrunden. Spanien oder Griechenland beispielsweise haben sich überhaupt erst nach ihrem Beitritt an viele europäische Standards herangetastet. Man kann nun die Kriterien immer weiter hochschrauben. Allerdings mit der Konsequenz, dass die Brüsseler Bürokratie in den Erweiterungsländern jahrelang zum Leitfaden der Politik wird und keine politische Auseinandersetzung mehr möglich ist. Gerade für junge Demokratien ist das problematisch.

Inwiefern?

Beichelt: Ich kenne keine Demokratie, die durch Druck von außen stabil geworden ist. Rechtsstaatlichkeit kann nur von innen, aus den Gesellschaften heraus entstehen. Die EU kann durchaus helfen, den Kampf um eine saubere Justiz als Bestandteil der heimischen Politik zu konstituieren. Aber sie sollte nicht die Erwartung wecken, dass sie von außen alles ändern kann.

Ist angesichts teurer Rettungspakte überhaupt Geld da für weitere Erweiterungsrunden?

Beichelt: Ja. Die Kosten der Eurokrise verursachen ja nur Mitgliedsländer, die den Euro bereits eingeführt haben wie Spanien oder Griechenland. Die finanziellen Mittel für die Beitrittsländer sind dagegen gar nicht so umfangreich. Jedes Land darf überhaupt nur vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts aus der EU abrufen, und einige, z.B. Bulgarien und Rumänien, schöpfen diesen Rahmen nicht einmal aus.

Die EU hat jetzt 28 Mitglieder. Würden mehr Staaten die Entscheidungsprozesse lähmen?

Beichelt: Nein, denn das Problem der Interessengegensätze hätte die EU auch bei sechs Mitgliedern. Das sieht man daran, dass die Gründungsstaaten Deutschland, Italien und Frankreich sehr unterschiedliche Positionen zur Eurokrise haben. Nur mit der Türkei käme ein Schwergewicht dazu, das selbstbewusst auftritt und das Gleichgewicht verändern würde. Andererseits: Wenn die Türkei in der EU ist, lässt sich mehr Einfluss auf deren Regierung ausüben.

Der Text ist unserem Themenheft zu zehn Jahren EU-Erweiterung entnommen.


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