Kremlkritiker Nawalny wieder vor Gericht
Daran, vor Gericht zu stehen, dürfte sich Alexej Nawalny bereits gewöhnt haben. Der 37-jährige Anwalt und Oppositionspolitiker wurde in einem von Vielen als politisch motiviert betrachteten Verfahren bereits im Juli 2013 zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Diese ist zwar zur Bewährung ausgesetzt, doch die wiederholte Teilnahme an Demonstrationen wurde ihm als Verstoß gegen Bewährungsauflagen ausgelegt.
Inzwischen steht Nawalny, der bei der Moskauer Bürgermeisterwahl im September 27 Prozent der Stimmen holte, unter Hausarrest. Am Dienstag wurde er wegen vermeintlicher Beleidigung eines Moskauer Stadtabgeordneten zu einer Geldstrafe verurteilt, was gleichzeitig die Umwandlung der Bewährungsstrafe in eine echte Haftstrafe bedeuten könnte.
Eine weitere langjährige Haftstrafe droht Nawalny nun in einem am Donnerstag beginnenden Verfahren. Gemeinsam mit seinem Bruder soll er die russische Tochtergesellschaft des französischen Kosmetikunternehmens Yves Rocher um mehr als 26 Millionen Rubel (gut eine halbe Million Euro) geprellt haben. Laut Anklage sollen sie Yves Rocher 2008 auf betrügerische Weise dazu bewegt haben, einen für die Firma unvorteilhaften Vertrag mit einem Transportunternehmen der Brüder abzuschließen.
Nawalny versucht im Internet seine Unschuld zu belegen
Für Nawalny, der als einer der wenigen Oppositionellen in Russland mit ernsthaften Ambitionen auf höhere Ämter gilt, scheint eine Verurteilung bereits ausgemachte Sache zu sein. In einem Facebook-Eintrag schrieb er jetzt, Yves Rocher sei von den Behörden gezwungen worden, Anzeige zu erstatten. Bei der Durchsicht der 157 Bände umfassenden Prozessakten sei ihm ein Brief an die Ermittlungsbehörden in die Hände gefallen, in dem das Unternehmen ausdrücklich versichert, dass ihm kein materieller Schaden durch die Zusammenarbeit mit den Nawalny-Brüdern entstanden sei. Nawalny veröffentlichte das Schreiben von Yves Rocher zu seiner Entlastung im Internet.
Die Veröffentlichung des für ihn entlastenden Dokuments könnte Nawalny jedoch neuen Ärger einbringen. Denn wie der als Blogger bekannt gewordene Nawalny auf Facebook unumwunden zugibt, verstößt er damit gegen das gerichtlich verhängte Verbot, sich öffentlich zu dem Verfahren zu äußern. Er spucke auf dieses Verbot, schreibt Nawalny, das er als „exotisch und gesetzeswidrig“ bezeichnet. Es habe zum Ziel, die Öffentlichkeit von seiner Schuld zu überzeugen, indem es ihm die Möglichkeit zur Verteidigung nehme.
Trotz Kommunikationsverbot ist Nawalny in sozialen Netzwerken stets präsent
Der unter Gegnern zuweilen wegen nationalistischer Äußerungen kritisierte Nawalny beherrscht das Spiel mit den elektronischen Medien meisterhaft. Vor Nawalny habe nur Lenin es in der Verbannung so gut geschafft, seine Gedanken zu verbreiten, schreibt die Wochenzeitung „Sobesednik“ halb im Scherz. Tatsächlich ist Nawalny in seinem Hausarrest auch jegliche elektronische Kommunikation oder Nutzung des Internets verboten. Dennoch schafft der Kremlgegner es, über Facebook, Twitter und Blog täglich seine Anhänger zu erreichen.
Und sogar in der „New York Times“ war er im März vertreten, mit einem Vorschlag, welche Vertreter der russischen Führungsschicht wegen der Ukraine-Krise mit Sanktionen belegt werden sollten. Offiziell erklärt Nawalny, alle Veröffentlichungen mündlich an seine Ehefrau sowie Mitarbeiter weiterzugeben, die diese dann ins Internet stellten.
Nawalnys Blog ist wegen seines Verstoßes gegen gerichtliche Auflagen in Russland gesperrt, doch täglich tauchen neue Kopien der Seite im Netz auf. Auf der Webseite navalny.us lässt sich ein roter Knopf drücken, der den Leser zu einer jeweils funktionstüchtigen Version der Webseite führt. Als besonderen Gruß bekommen Mitarbeiter der russischen Medienaufsichtsbehörde an ihren Dienstrechnern, deren IP-Adressen Mitstreiter Nawalnys offenbar identifizieren konnten, statt des roten Knopfes ein Kätzchen angezeigt.
Dieses offensichtliche Katz-und-Maus-Spiel mag ein Anlass für den russischen Gesetzgeber gewesen sein, Blogs als potenzielle politische Waffe stärker zu reglementieren. Einem am Dienstag verabschiedeten Gesetz zufolge gelten künftig Blogs mit mehr als 3.000 Lesern am Tag automatisch als Medien und müssen sich bei den Behörden entsprechend registrieren.