Moldawien

Zerrissen zwischen Ost und West

Flaggen und Banner voran zogen sie über den Boulevard Stefan cel Mare. In Chisinau demonstrierten vor wenigen Tagen ein paar hundert Menschen „gegen die russische Aggression“. So sagt es Iulian Gramatki von der Bewegung „Junge Moldauer“, einer der Organisatoren des Protestmarsches. Die Teilnehmer trugen die Fahnen der Republik Moldau und Europas, auf ihren Spruchbändern stand „Putin Besetzer“ und „Hier ist nicht die Krim“.

Gramatki und andere Demonstranten fürchten, dass sich in ihrer Heimat eine Situation wie auf der Krim wiederholen könnte: von der Einmischung Russlands in die Innenpolitik bis hin zu einer Annexion. Doch Moldau solle „selbst über seinen Weg entscheiden“, findet Gramatki.


Viele Moldauer hoffen vor allem auf einen besseren Lebensstandard

Das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine ist hin- und hergerissen zwischen West und Ost. In der ehemaligen Sowjetrepublik gibt es ebenso starken Zuspruch für eine Annäherung an Europa wie für eine größere Nähe zu Moskau. Für nicht Wenige im ärmsten Land Europas ist der politische Kurs des Landes aber zweitrangig, solange sich ihr Lebensstandard verbessert.

Moldaus Regierung setzt auf die Annäherung an die Europäische Union. Ende April soll die Visa-Pflicht wegfallen, etwas später will Moldau ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Ein solches war auch zwischen Brüssel und Kiew ausgearbeitet worden – dass Präsident Janukowitsch es Ende November wider Erwarten nicht unterzeichnete, löste die Proteste in der Ukraine aus.

Russland versucht mit Druck, etwa mit einem Importverbot für moldauischen Wein, den EU-Kurs Moldaus zu bremsen und die Unterzeichnung zu verzögern, bis im Herbst ein neues Parlament gewählt wird. Dieses könnte den aktuellen Kurs korrigieren: Die Chancen stehen derzeit gut, dass dann die oppositionellen Kommunisten gewinnen. Denn viele Bürger sind unzufrieden mit der Arbeit der amtierenden Regierung.


Transnistrisches Staatswappen mit Hammer und Sichel

Zusätzlichen Grund zur Sorge liefert in diesen Tagen der abtrünnige Landesteil Transnistrien, ein schmaler Landstrich an der Grenze zur Ukraine. Während in Chisinau Europa-Flaggen vor Staatsgebäuden wehen, tragen Staatswappen und Flagge in Transnistrien noch immer Hammer und Sichel. Im September 1990 hatte sich das Gebiet zur unabhängigen Sowjetrepublik erklärt. 1992 kam es zwischen Moldau und Transnistrien zu einem kurzen Krieg mit mehreren hundert Toten. Seitdem ist die Region östlich des Flusses Dnjestr ein De-facto-Staat mit einer streng bewachten Grenze und eigener Währung, den aber kein Land anerkennt.

Dass seit dem Krieg russische Soldaten in Transnistrien stationiert sind, erhöht nun die Nervosität. Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove hält es für möglich, dass Russland in die Südukraine einmarschiert, um einen Landkorridor auf die Krim zu öffnen oder sogar bis Transnistrien vorzustoßen.

Die Einwohner Transnistriens, zu je knapp einem Drittel Russen, Ukrainer und Moldauer, sind klar pro-russisch. 2006 sprachen sich in einem Referendum mehr als 97 Prozent für die Unabhängigkeit und den anschließendem Beitritt zu Russland aus. Auch heute strebt die Führung in der Hauptstadt Tiraspol die Aufnahme in die Russischen Föderation an.

„Alle hoffen darauf, dass es hier ein Szenario wie auf der Krim gibt“, sagen Menschen in der Hauptstadt Tiraspol. „Wir warten seit 23 Jahren darauf.“ Allerdings glauben sie kaum, dass die Anbindung Realität werden wird. „Die hätte Russland schon vor Jahren haben können“, sagt ein junger Mann, der anonym bleiben will.


Moskau wirft Ukraine und Moldau ine „Blockade“ Transnistriens vor

In den vergangenen Tagen hat sich die Lage verschärft. Die Ukraine hindert offenbar junge Männer aus Transnistrien mit russischem Pass daran, die Grenze zu überqueren. Die Regierung in Kiew fürchtet, sie könnten Proteste im nur knapp 100 Kilometer entfernten Odessa unterstützen. Gerade hat die Transnistrien die Teilnahme an einer neuen Runde der regelmäßigen Gespräche zur Beilegung des Konflikts abgesagt. Angeblich weil die Regierung in Chisinau sich nicht an ihr Versprechen gehalten habe, Importzölle für transnistrische Unternehmen aufzuheben.

Moskau kritisiert diese Entwicklungen als „Blockade“ Transnistriens. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte, die Lebensbedingungen der Menschen in der Region seien „erheblich erschwert, Freizügigkeit, Handel und wirtschaftliche Tätigkeit behindert“. Auch wenn EU-Beobachter keine nennenswerten Vorkommnisse an der Grenze feststellen konnten, warnte der russische Vizepremier und Transnistrien-Sonderbeauftragter Dmitrij Rogosin bereits, man werde notfalls auch Gewalt gegen jeden Aggressor anwenden, „um ihn zu Frieden, Ordnung und zur Einhaltung der demokratischen Normen zu zwingen“.

Die angebliche „Blockade“ als Vorwand für eine russische Intervention? Putin hatte zuletzt von einer „gerechten und umfassenden Beilegung des Konflikts“ gesprochen. Außenmister Sergej Lawrow befürwortete eine Föderalisierung Moldaus und die territoriale Integrität des Landes – inklusive Transnistrien.

In Chisinau will man diese Aussage als Zeichen werten, dass sich die Ereignisse auf der Krim nicht in Transnistrien wiederholen. Auch internationale Beobachter im Land glauben nicht an ein solches Szenario. Denn Russland könnte zwar einen kleines Stück der alten Größe zurückgewinnen. Gleichzeitig würde es aber den Einfluss auf die gesamte Republik Moldau verlieren.


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