Ölfluss gefährdet Meerestiere
Moskau (n-ost) Naturschützer in ganz Russland schlagen Alarm: Der Bau der Öl- und Gas-Pipelines auf der fernöstlichen Insel Sachalin soll in diesen Tagen beginnen. Sollte das gigantische Förderprojekt „Sachalin-2“, das auf rund zehn Milliarden US-Dollar geschätzt wird, wie geplant umgesetzt werden, könnten Flora und Fauna ernsthaft bedroht werden.
Stürmische Herbstwinde peitschen hohe Wellen gegen die Küste der russischen Insel Sachalin im Fernen Osten. Als der Sturm vorüber ist, entdecken Fischer zwischen rostigen Dosen noch einen weiteren Fund: Massenweise liegen tote Heringe an der Küste des öl- und gasreichen Eilands verstreut. Das war vor vier Jahren. Damals gingen Umweltschützer auf die Barrikaden, eine Analyse sollte Klarheit über das rästelhafte Fischsterben bringen: „Eventuell könnte die Ursache mit der Ölförderung auf der Plattform Molikpak zusammenhängen“, verkündete die Umweltschutzorganisation World Wildlife Fund (WWF) zaghaft.
Doch nicht nur das Heringssterben hat das Projekt „Sachalin“, das in sechs Etappen verwirklicht werden soll, bislang immer wieder in die Schlagzeilen gebracht: Die Förderung der fossilen Brennstoffe, mit denen die Insel im Ochotskischen Meer üppig gesegnet ist, ruft vor allem Naturschützer auf den Plan. Mehr als 50 russische Umwelt-Vereinigungen haben sich zusammengeschlossen, um die Bedingungen für Flora und Fauna zu verbessern. „Wir sind nicht prinzipiell gegen die Förderung von Öl und Gas in den Gewässern um Sachalin. Doch wie und wo dies geschieht, gefällt uns überhaupt nicht“, erklärt Igor Tschestin, Direktor der russischen WWF-Gruppe. Der engagierte Moskauer hält mehrere Blätter in der Hand, auf denen die Missstände genau aufgelistet sind. Bereits Anfang des Jahres legten die russischen Umwelt-Vereinigungen dem Öl-Konsortium, in dem die beteiligten Konzerne organisiert sind, einen Katalog vor: Darin fordern die Naturfreunde einen Mindestabstand von zwölf Seemeilen (rund 30 Kilometer) zwischen Bohr-Plattform und einem küstennahen Schutzgebiet, in dem die letzten 100 Grauwale im Westpazifik leben. Die gefährdeten Säugetiere schwimmen im Frühjahr von Japan nach Sachalin, um dort ihren Nachwuchs aufzuziehen und sich mit Nahrung für den harten Winter zu wappnen. Doch die Meerestiere kommen kaum zur Ruhe: Unterwasser-Sprengungen bei der Suche nach Ölquellen sowie Aufschüttungen in den Buchten versetzen die Wale in ständige Angst. Nach Angaben der deutschen „Greenpeace“-Organisation sind dies die Hauptgründe, warum die meisten Walkühe und ihre Kälber unterernährt sind. Bislang wurden gut 60 000 Tonnen Erdmassen in die Bucht von Aniwa gekippt, rund 1 000 Mitarbeiter sind dort mit der Erschließung von Naturgas im Rahmen des Projekts „Sachalin-2“ beschäftigt. Die Aufschüttungen in der Aniwa-Bucht im Süden der Insel trüben das Wasser und verändern die Biosphäre: Auch der Fischbestand im Meeresbusen könnte dadurch ernsthaft gefährdet sein, denn jeder vierte Lachs auf der Insel ist hier angesiedelt.
„Auf Sachalin gibt es zahlreiche geschützte Tiere und Pflanzen, daher dürfte rein rechtlich in solchen Regionen eigentlich gar kein Öl gefördert werden“, erklärt Vera Mischtschenko. Die Präsidentin der Moskauer Umweltgruppe „Ekojuris“ plant nun gemeinsam mit den anderen engagierten Gruppen eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof einzureichen. Auch an Präsident Putin hat sie bereits geschrieben: „Die Ölförderung steht nicht im Einklang mit den russischen Gesetzen, da es keine vorgeschriebene Umweltschutz-Prüfung gab.“ Zumindest habe sie solch eine Analyse nie gesehen, fügt die Juristin hinzu.
Ein Dorn im Auge ist den Öko-Aktivisten auch die 800 Kilometer lange Pipeline, die nun konstruiert wird: Von Nord nach Süd sollen die parallelen Rohre Öl und Gas von den Plattformen Piltun und Lunskoje in den eisfreien Hafen der Hauptstadt Juschno-Sachalinsk im Süden der Insel transportieren. Rund 5000 Mitarbeiter werden beim Bau mit anpacken. Dass die Pipeline dabei mehr als 1100 natürliche Hindernisse wie Bäche, Quellen oder 24 aktive tektonische Platten durchquert, sehen die Umweltschützer nur ungern. „Wir fordern oberirdische Rohre auf erdbebensicheren Pfeilern, vor allem über die Gewässer, da sonst die Lachse beim Laichen gestört werden“, so die Vision des WWF.
Das Öl- und Gasprojekt „Sachalin-2“ sieht in den kommenden Jahren eine Förderung von rund 140 Millionen Tonnen Öl und etwa 550 Milliarden Kubikmeter Naturgas vor. Gelenkt wird das Vorhaben von der „Sachalin Energy“, einem Joint Venture des niederländisch-britischen Konzerns Royal Dutch/Shell, der japanischen Mitui AG und des Unternehmens Mitsubishi. Es ist eines der größten Förderprojekte weltweit.