Lettland

Baltikum setzt auf Schutz durch die Nato

Kaum zu glauben, dass er einmal voller Begeisterung die lettischen Nachrichten verfolgen werde, lacht Professor Andris Spruds, hebt den Finger an die Lippen und lauscht den News auf seinem Laptop. Was dem Politologen in diesen Tagen so gute Laune bereitet, sind die Flugzeuge, die das dänische Militär und vielleicht auch die Bunderwehr bald ins Baltikum schicken sollen.

„Zum ersten Mal seit dem Beitritt zur Nato fühlen wir uns als vollwertige Mitglieder“, sagt Spruds. „Wenn sogar Deutschland Militär ins Baltikum schickt, ehrt uns das sehr. Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten wir zum Völkerbund, aber niemand hat uns gegen die sowjetische Besatzung verteidigt. Heute gehören wir zu einem Bündnis, das wirklich zu uns steht.“

Erleichterung macht sich auch in der Bevölkerung breit. Vor 23 Jahren erkämpften die Letten ihre Unabhängigkeit von Moskau. Aus Solidarität und Angst protestierten die Menschen in den vergangenen Wochen wiederholt gegen den Vormarsch russischer Truppen in der Ukraine.

Sie habe große Angst, sagt eine Frau, die in Riga auf den Bus wartet. „Meine Eltern haben noch hautnah die sowjetische Besatzung im Zweiten Weltkrieg erlebt. Ich bin froh, dass Nato-Flugzeuge im Baltikum sind.“

Vor Putin müsse man auf der Hut sein, mischt sich ein Passant ein: „Wenn er plötzlich auch das Baltikum zurück haben will, ist es gut, dass wir jetzt beschützt werden.“ Eine Russin gesellt sich zu den beiden Letten.

„Was ist nur mit unseren Letten, Litauern und Esten los?“, schimpft sie. Kaum gebe es ein kleines Feuerwerk, fragten sie schon die Nato um Hilfe. Das sei doch lächerlich: „Wir Russen leben gut im Baltikum, wir sind Staatsbürger und wollen hier bleiben. Russland wird niemals hier einmarschieren. Ginge es uns schlecht, wäre es allerdings etwas anderes.“


Estland und Lettland sind quasi zweigeteilt

In Lettland ist wie in Estland jeder Dritte russischer Herkunft. In Litauen macht die russische Minderheit nur rund fünf Prozent der Bevölkerung aus. Die meisten Russen wurden im Sozialismus im Baltikum angesiedelt. Heute sei Lettland wie Estland quasi zweigeteilt, sagt der Soziologe Arnis Kaktins: mit lettischen und russischen Schulen und Vertrauen in unterschiedliche Meinungsmacher.

„Russland spielt bei uns immer eine ganz zentrale Rolle“, sagt er. Die Russen im Baltikum bewunderten Putin und liebten Russland. Sie seien dort geboren oder hätten in Russland Freunde und Verwandte. „Wir Letten hingegen unterstützen wie Litauer und Esten die Ukraine, denn wir haben wegen unserer traumatischen Geschichte große Angst vor Russland.“


Russen in Estland wollen nicht auf EU-Mitgliedschaft verzichten

Auch im estnischen Narva war die Angst vor einer russischen Bedrohung in den vergangenen Wochen groß. Die Kleinstadt liegt direkt an der russischen Grenze und wird nahezu ausschließlich von Russen bewohnt. Viele von ihnen passieren täglich die Grenze, um im russischen Ivangorod zu arbeiten. Denn für einen Job in Estland reichen ihre estnischen Sprachkenntnisse nicht aus.

Trotzdem wolle keiner von ihnen die Koffer packen, um nach Russland zu ziehen, sagt die estnische Professorin Katri Raik, Leiterin der Hochschule Narva College. „Unsere estnischen Russen können täglich mit eigenen Augen sehen, wie sehr das Leben im russischen Ivangorod von Armut geprägt ist. Außerdem will niemand auf die Zugehörigkeit zur Europäischen Union verzichten.“


„Russland würde Nato-Bündnisfall nie riskieren“

Er glaube kaum, dass Russland tatsächlich die Nato-Länder Estland, Lettland und Litauen angreifen würde, sagt der lettische Politologe Andris Spruds. Allein mit Blick auf den Gegenschlag durch die Nato, zu der sie laut Artikel 5 des Nordatlantikvertrags der sogenannte Bündnisfall verpflichten würde, würde Russland das niemals riskieren.

Bei der nun verstärkten militärischen Präsenz im Baltikum gehe es vielmehr um eine Zeichen der Solidarität, das Moskau zwar auch verstehe, das aber vor allem an die Balten selbst gerichtet sei. „Unsere Leute sollen verstehen, dass wir nicht alleine sind, sondern unsere Alliierten uns im Ernstfall tatsächlich den Rücken stärken.“


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