Tschechien

Mehr als nur Aschenbrödel

ostpol: Frau Šafránková, die Zuschauer lieben Sie vor allem als Heldin in dem Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Hätten Sie im Winter 1972/73 während der Dreharbeiten in Sachsen und Böhmen damit gerechnet, dass ihre Landsleute diesen Film, wie vor kurzem geschehen, zum „Märchen des Jahrhunderts" wählen?

Libuše Šafránková: Ich glaube, damit hat wohl niemand gerechnet. Wir haben einfach nur unsere Arbeit gemacht und dabei viel Spaß und wohl auch Glück gehabt.

Wie sind Sie damals überhaupt zu dieser Rolle gekommen?

Šafránková: Nachdem das Theater „Za Branou“ aus politischen Gründen geschlossen worden war, hatte ich ein Engagement am Prager Theater „Činoherní klub“ angenommen. Dort steckte ich gerade mitten in den Proben für die schöne Rolle der Sonja in Tschechows „Onkel Wanja“. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, als ich von Regisseur Václav Vorlíček das Angebot bekommen habe, an der deutsch-tschechischen Koproduktion des Märchens „Aschenbrödel“ mitzuarbeiten, wollte ich nicht weg von dieser Paraderolle und habe den damaligen Regisseur Jan Kačer um Rat gefragt. Es war die Hoch-Zeit des Totalitarismus, und er sagte zu mir: Du bist eine der letzten, die überhaupt noch vor die Kamera dürfen. Fahr hin und drehe, solange du noch kannst. Sie können dich jeden Augenblick abstellen. Und so haben ich und viele meiner Kollegen tagsüber in Moritzburg in Deutschland oder bei uns im Böhmerwald gedreht und abends oft noch auf der Bühne gestanden.


Zur Person: Libuše Šafránková

  • geboren am 7. Juni 1953 in Brno (Brünn), wächst Libuše Šafránková im südmährischen Šlapanice auf
  • 1971 beendet sie ihre Ausbildung an der Abteilung für Dramaturgie am Konservatorium Brno und spielt ihre erste Rolle als Enkelin Barunka in der Literaturverfilmung von Božena Němcovás „Babička“ (Die Großmutter)
  • 1972 erste Engagements in Prag am Theater „Za branou“ (Theater hinter dem Tor) und im „Činoherní klub“ (Schauspielklub)
  • 1973 wird sie mit ihrer Darstellung in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ auch international bekannt
  • 1976 heiratet sie den Schauspieler Josef Abrhám, ein Jahr später wird der gemeinsame Sohn geboren
  • neben immer wieder neuen Rollen zeigt Libuše Šafránková auch ihre ulkige Seite in den Komödien „Wie soll man Dr. Mrácek ertränken?“ (1974) oder „Lauf, Ober, lauf!“ (1980), in denen sie an der Seite ihres Ehemannes Josef Abrhám auftritt
  • 1996 goldener Löwe als beste Hauptdarstellerin im Oscar-gekrönten Film „Kolja“
  • gegenwärtig steht Libuše Šafránková häufig für Filmproduktionen vor der Kamera; sie lebt mit ihrem Ehemann zurückgezogen in Prag

Wenn Sie an Aschenbrödel denken, woran erinnern Sie sich am liebsten?

Šafránková: Ich erinnere mich an wirklich schöne Natur und an das Drehen der letzten Szene, in der ich und der Prinz nebeneinander reiten sollten (kichert). Der Wind hob meinen Schleier und ich stellte auf einmal staunend fest, dass ich alleine reite. Pavel Trávníček war weg. Ich drehte mich um und sah ihn im Schnee feststecken. Die letzte Einstellung konnten wir aber nur einmal drehen, weil die Hufe meines Pferdes die unberührte Schneelandschaft umgepflügt hatten. Und so ist es dazu gekommen, dass Aschenbrödel in der letzten Einstellung allein über die Ebene reitet. Das ist mir bis heute in Erinnerung geblieben.

Ihre späteren Erfolge wie beispielsweise in dem Oscar-gekrönten Film „Kolja“ haben die Deutschen nur selten wahrgenommen. Ist es nicht schwer, immer vor allem das Aschenbrödel zu sein?

Šafránková: Damit hatte ich hier nie ein Problem. Die tschechischen Zuschauer haben mich davor lange mit Barunka aus der Verfilmung des Literaturklassikers „Babička“ in Verbindung gebracht. Ich war recht froh, als diese Rolle durch das Aschenbrödel und das Aschenbrödel dann durch die Wassernixe Jana und viele weitere folgende Rollen abgelöst wurde.

Passiert es Ihnen, dass Sie im Ausland sind und Leute anfangen zu tuscheln „Da ist das Aschenbrödel…“?

Šafránková: Ich muss zugeben, dass mir das schon passiert ist und damit muss man wohl auch rechnen. Aber die Leute machen das nicht auf eine primitive Art, sondern sind dabei sehr taktvoll.

In Deutschland wissen nur wenige, dass Sie jahrelang erfolgreich sowohl komische als auch tragische Theaterollen gespielt haben. Welchen geben Sie den Vorzug?

Libuše Šafránková: Was das Genre betrifft, macht mir beides Spaß, aber es hängt immer sehr viel von der Qualität des Stückes ab. Ich mag es, wenn eine Rolle beides enthält – sowohl lustige Tragik als auch tragische Komik. Ein gutes Beispiel dafür ist die Alice in Dürrenmatts „Play Strindberg“, die ich gespielt habe oder auch die Estelle Rigault in Sartres „Geschlossene Gesellschaft“.

Die tschechischen Zuschauer haben Sie 2008 zur besten tschechischen Schauspielerin gewählt. Was halten Sie von solchen Auszeichnungen?

Šafránková: Zu allererst hätte ich so eine Auszeichnung nicht erwartet und nicht geglaubt, dass ich sie bekomme. Meine Favoritinnen waren Schauspielerinnen aus den 1920er und 1930er Jahren oder auch zeitgenössische Kolleginnen, die ich besonders bewundere und von denen ich lerne. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass die Menschen so entschieden haben, aber dennoch glaube ich, dass diese Auszeichnung eine Sache eines Abends und eines Moments war und dass sie nicht für die Zukunft gilt. Im Schauspiel zählt immer gerade das, was ist und nicht das, was war.

Sie sind seit über 35 Jahren mit Josef Abrhám verheiratet, den die deutschen Zuschauer als Doktor Blazej aus dem „Krankenhaus am Rande der Stadt“ kennen. Vor kurzem haben Sie für die Fortsetzung der Serie sogar zusammen vor der Kamera gestanden. Ihr Gatte spielt in seiner Freizeit am liebsten Jazz auf dem Klavier. Was machen Sie, wenn Sie nicht drehen?

Šafránková: In meiner Freizeit habe ich am liebsten frei. Ich mag die Natur, ich schwimme gerne, und am meisten von allem schätze ich die Stille. Die Stille enthält alles.

Es heißt aber, Sie singen gerne ...

Šafránková: Ja, ich singe, wenn es am schlimmsten ist. Das hilft. Mein Vater war studierter Organist, Pianist und Geigenspieler. Er war ein wunderbarer Musiker, ein vitaler Mensch. Dank ihm habe ich ein sehr breites Repertoire an Opern, Operetten und Kirchenliedern.

Die Tschechen gelten als Meister des Märchenfilms. Worin liegt für Sie der Zauber dieses Genres?

Šafránková: Wir hatten tatsächlich diesen Ruf, aber das hatte auch einen Grund. Schließlich durften wir früher nicht viel anderes drehen. Vor der samtenen Revolution waren Märchen das einzige Mittel zur religiösen Meinungsäußerung. Durch sie kann man sowohl zu Kindern als auch zu Erwachsenen sprechen. Aschenbrödel hat wie auch andere klassische tschechische Märchen einen sehr spirituellen Inhalt, der uns dem Schöpfer näher bringt. Das sind kleine biblische Geschichten.

Bald ist Weihnachten. Schwimmt bei Ihnen wie bei vielen Tschechen auch ein Karpfen in der Badewanne?

Šafránková: Als ich ein Kind war, schwamm bei uns ein Karpfen in der Wanne, aber ich selbst kaufe keine lebendigen Fische. Zu Hause halten wir uns zu Weihnachten an christliche Traditionen, wir singen, gehen in die Kirche und kommen als Großfamilie am Tisch zusammen, und bei so einer Gelegenheit bleibt der Fernseher aus. Schon oft haben wir uns vorgenommen, Weihnachten als Fest der Ruhe zu begehen, aber trotzdem können wir den Geschenken nicht ausweichen.

Was ist ihr größter Weihnachtswunsch?

Safránková: Davon gibt es viele. Zu Weihnachten steht bei uns auf dem Tisch immer eine Schüssel mit Äpfeln und Nüssen. Jeder, der am Tisch sitzt, knackt eine Walnuss. Wenn der Kern gesund ist, dann sollte der Mensch, der die Nuss geknackt hat, das ganze folgende Jahr über gesund sein. Deshalb wünsche ich mir momentan nichts anderes als einen gesunden Walnusskern für alle Familienmitglieder.


Lesen Sie außerdem: Mythos „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“: http://ostpol.de/beitrag/3836-mythos_drei_haselnuesse_fuer_aschenbroedel Auf immer Aschenbrödels Prinz: http://ostpol.de/beitrag/4180-auf_immer_aschenbroedels_prinz

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