Belarus

„Überleben in besetztem Territorium“

ostpol: Herr Klinau, der deutschsprachige Band „Partisanen“, der zur Leipziger Buchmesse erscheint, versammelt mehrere Essays Ihrer Kulturzeitschrift „pARTisan“. Wer oder was ist ein Partisan?

Artur Klinau: Dieser Begriff hat mehrere Ebenen. Da ist zum einen seine Geschichtlichkeit. Dazu muss man 500 Jahre zurückschauen. Belarussen haben ständig Kriege erlebt, mehr als andere Völker, Belarus ist eine Nation, die ständig um ihr Überleben kämpfte. Der Partisan ist so schon zum mentalen Körper eines Belarussen geworden.

Damit greifen Sie einen Gedanken des belarussischen Philosophen Valentin Akudowitsch auf. Er schreibt, das Credo des Partisanen sei das „Ich bin nicht da“.

Genau: In psychologischer Hinsicht ist der Partisan ein Untergrundmensch. Ein Partisan siegt nicht, ein Partisan überlebt. Partisanentum ist das Überleben in einem besetzten Territorium. Das heißt, der Partisan ist nicht nur Held, ist kein Che Guevara. „Partisan“ ist vielmehr auch eine Diagnose tiefgreifender Ängste und Traumata.
Insofern ist der Begriff sehr treffend für die Situation, in der wir heute arbeiten: Belarus hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion die Chance voranzukommen. Unsere Gesellschaft aber hat den Weg zurück eingeschlagen, stürzt sich zurück in die Vergangenheit. Das ist Nekrophilie: eine Entscheidung für den Tod.


Ein pARTisan dagegen will also die Gesellschaft wiederbeleben?

Wir kreieren und vernichten Werte. Die Gesellschaft muss sich ändern, nicht nur die Machthaber. Und der Weg soll über die Kultur gehen, sie ist wichtigster Antrieb dieses Prozesses. Das lag dem Konzept unserer Zeitschrift „pARTisan“ zugrunde, die wir 2002 gründeten. pARTisan entwickelt ein alternatives Koordinatensystem, schafft seine eigenen Helden. Reale Künstler, an denen sich kommende Generationen orientieren können. pARTisan ist eine Alternative zum staatlichen Kulturbetrieb.

Wie geht ein solcher Künstler vor?

Er hat sich dazu eine eigene Partisanen-Strategie angeeignet. Er ist sein eigener Kurator, sein eigener Manager und Kritiker. Es ist eine Heldenkultur, eine Bewegung auf okkupiertem Territorium. Das erfordert unglaublich viel Mut, Kraft und Energie. Auch er versteckt sich – um aus seinem Versteck heraus zuzuschlagen.

Dem unabhängigen belarussisch-sprachige Verlag Lohvinau wurde im vergangenen Herbst die Lizenz entzogen. Entmutigt Sie so etwas nicht?

Natürlich ist das traurig. Aber sehen Sie es als Auszeichnung! Das Regime hat begriffen, dass diese Literatur die Gesellschaft allmählich beeinflusst. Und der Verlag hat nun wie ein Partisan gehandelt: Er musste eine neue Tür finden und hat sich in der litauischen Hauptstadt Vilnius registriert.

2014 sind es 25 Jahre seit dem Mauerfall und Lukaschenko ist seit 20 Jahren an der Macht. Was macht der belarussische Partisan? Nimmt er sich ein Beispiel an der Ukraine?

Sie können die Situation in Belarus nicht mit der in der Ukraine vergleichen. Wir haben die Plätze noch nicht erobert. Und der Partisanenkult hat Totalität. Lukaschenko ist in gewisser Weise auch ein Partisan. Nur hinter der Linie, im anderen Lager.
Dennoch: Ich bin optimistisch. Schnelle Veränderungen sind nicht möglich. Aber schrittweiser Wandel. Und ich sehe durchaus Veränderungen in der Mentalität der Bevölkerung. Uns war immer klar, dass das kein schneller Prozess, keine Revolution ist, sondern eine Evolution. Wir machen also weiter unsere Arbeit.

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