„Ich wollte den Anwohnern eine Plattform geben“
Während der Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen in Sotschi kam es zu Ungerechtigkeiten in vielen Fällen. Warum hast du dich auf die Umsiedlungen konzentriert?
Im Zentrum meiner Recherchen steht die Imeretinskaja-Bucht. Der Wahnwitz der Idee, Winterspiele in den Subtropen zu veranstalten, wird dort am stärksten sichtbar. Mein Interesse konzentriert sich dabei auf die Umgestaltung des Areals, welche Umeignung von Landflächen und eben auch Umsiedlungen zur Folge hatte. Besonders beschäftigte mich die Frage, mit welcher Strategie der russische Staat sich das Terrain der Bucht aneignen und zu einer mondänen Olympia-City umgestalten wird. Auch die Perspektive der Umsiedler war mir wichtig, deren Heimat eine erzwungene Veränderung durchmachte. Ich wollte den Anwohnern, denen der Zugang zu offiziellen Medien verwehrt bleibt, eine Plattform geben und mich auf ihre Geschichten konzentrieren.
War es leicht, die im Film porträtierten Menschen zu finden und sie zur Teilnahme zu bewegen? Gab es viele Hürden bei der Recherche?
Es war nicht schwierig, meine Protagonisten zu finden. Gerade in der Anfangsphase des Umbaus der Bucht 2009 und 2010 war die Empörung unter den Anwohnern groß und sie versuchten, ausländische Medien zu erreichen. Nur eine meiner Protagonistinnen ist aus Angst vor den Behörden abgesprungen. Die anderen schätzten mein Interesse an ihrer Sicht. Daher ließen sie sich auch noch in den letzten Jahren interviewen, als alle schon medienmüde waren. Da ich anfangs keine Akkreditierung hatte, war das Filmen sehr anstrengend und fand vorwiegend in den Häusern der Menschen und von versteckten „Aussichtsplattformen“ statt. Später – mit offizieller Akkreditierung – gab es bei den Dreharbeiten keine gravierenden Probleme.
Kann man in Sotschi einen allgemeinen Stimmungswechsel gegenüber den Olympischen Spielen beobachten, gerade in Anbetracht der Veränderungen im Stadtbild?
Es ist schwierig, über die allgemeine Stimmung der Bevölkerung zu sprechen. Während des Umbaus waren die Menschen zu einem gewissen Maß genervt von Staus, Dreck und anderen Unannehmlichkeiten. Inzwischen scheint mir die Stimmung gespalten. Laut Umfragen begrüßt eine Mehrheit der Einwohner die Olympischen Spiele. Für Kritiker wurde vor allem der Kurort Sotschi und sein Tourismus durch die flächendeckenden Bau- und Infrastrukturprojekte der Winterspiele begraben.
Am Donnerstag, den 20. Februar, um 20:15 Uhr feiert Steffi Wursters Dokumentation „Constructing Sochi“ im Kino Babylon in Berlin Premiere.