Rumänen und Bulgaren auf dem EU-Arbeitsmarkt
Es ist ein Reizthema, das Politiker in Deutschland bereits seit Monaten auf die Agenda bringen und das zum Jahreswechsel erneut hochgekocht ist: Seit 1. Januar 2014 genießen Bulgaren und Rumänen die volle Freizügigkeit, sie haben also freien Zugang zum EU-Arbeitsmarkt. Und damit steigt die Angst vor sogenannten Armutseinwanderern: „Einige Länder haben ein großes Problem, nämlich dass die Freizügigkeit missbraucht wird von denen, die von einem Land ins andere gehen, um Sozialleistungen zu bekommen“, sagte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kürzlich bei einem Treffen in Brüssel. Seine Partei, die CSU, will auf ihrer Klausurtagung eine dreimonatige Sperrfrist für Sozialhilfe und ein Wiedereinreiseverbot für ausgewiesene Betrüger beschließen.
Derzeit leben in Deutschland rund 200.000 Rumänen und fast 120.000 Bulgaren. Die Anzahl der polnischen oder italienischen Einwanderer liegt mit über 500.000 weit höher. Dennoch stehen bereits einige Städte wie Dortmund vor der Herausforderung, wie sie mit der steigenden Zahl von Einwanderern aus diesen Ländern umgehen sollen.
„Rumänen und Bulgaren kommen, um hier zu bleiben“
„Deutschland muss sich an die Realität gewöhnen“, sagt die rumänischstämmige Politologin Alina Mungiu Pippidi von der Hertie School of Governance in Berlin. Auch die meisten früheren „Gastarbeiter“ seien nie in ihre Ursprungsländer zurückgekehrt. „Auch Rumänen und Bulgaren kommen, um hier zu bleiben. Da müssen wir uns keine Illusionen machen.“
Ibrahim Ahmed ist vor vier Jahren aus seiner Heimatstadt Razgrad in Bulgarien nach Duisburg-Hochfeld gezogen. Das Sofa, auf dem er sitzt, hat er auf der Straße gefunden. Dass man Sperrmüll auf die Straße stellt, kannte er aus Bulgarien nicht. „Bei uns finden sich immer Familienangehörige oder Freunde, die so etwas gebrauchen können“, sagt der 46-Jährige.
Den Begriff „Strukturwandel“ kennt Ahmed nicht, doch darüber, wie er sich anfühlt, kann er Bände erzählen. „Vor der Wende habe ich in der Bauindustrie gearbeitet", erinnert er sich. „Da sorgte der bulgarische Staat für günstige Wohnungen. Wir fühlten uns sicher, durften aber nicht ausreisen. In den neunziger Jahren wurde entlassen. Ahmed, der als Rom und Türkischsprachiger in doppelter Hinsicht zu einer Minderheit gehört, lebte in bitterer Armut und verdiente sich sein Geld als Tagelöhner.
„Wenn Europa nicht zu uns kommt, müssen wir halt nach Europa“
Erst 2005, kurz vor dem EU-Beitritt des Landes, ging es wieder besser. „Es wurden wieder Wohnungen gebaut, und Einkaufszentren. Es gab endlich genug Arbeit, aber alles wurde auch viel teurer“, erzählt Ahmed. Dann platzte die Immobilien- und Konsumblase und setzte der kurzen Aufschwungsphase ein abruptes Ende. Bulgarien war jetzt in der EU, doch die Hoffnung auf eine schnelle Annäherung an westeuropäische Lebensstandards erwies sich als Illusion. Der Mann verlor wieder seine Stelle. Er beschloss, seine Heimat zu verlassen. „Wenn Europa nicht zu uns kommt, müssen wir halt nach Europa“, sagt er mit bitterem Humor.
Rund 400 Euro im Monat muss Ahmed für die Zweizimmerwohnung zahlen, die er zusammen mit seiner Lebensgefährtin bewohnt. Er lebt von Gelegenheitsjobs, vor allem auf dem Bau, meistens schwarz und meistens bei türkischstämmigen Arbeitgebern, mit denen er zumindest kommunizieren kann. Deutsch spricht Ibrahim Ahmed nicht. „Aus eigener Tasche kann ich keinen Kurs bezahlen”, sagt er. Jetzt hat er sich mit anderen Bulgaren aus der Nachbarschaft zusammengetan und einen Kulturverein gegründet. Der soll bald Deutschunterricht und andere Integrationskurse für die neuen Migranten anbieten.
„Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien sind in einer seltsamen Lage“, stellt Hassan Dschewachir, der Vorsitzende des Vereins, fest. „Einerseits durften sie als EU-Bürger schon bisher jederzeit problemlos einreisen und in vielen Fällen bereits jetzt einer Beschäftigung nachgehen.” Andererseits seien gerade deswegen keine klaren Prozeduren, keine Integrationsangebote geschaffen wurden. Mit der Freizügigkeit seien sie nun „völlig sich selbst überlassen“.
Deutschland ließ die Jahre seit den EU-Beitritten ungenutzt
Die paradoxe Situation ist zumindest teilweise auf mangelnden politischen Willen zurückzuführen. Als Rumänien und Bulgarien 2007 der EU beitraten, bestand die deutsche Regierung auf einer siebenjährigen Übergangsphase mit nur eingeschränkter Freizügigkeit. „Doch diese Zeit wurde nicht genutzt, um sich auf die neue Migration vorzubereiten“, kritisiert die Politologin Alina Mungiu Pippidi. „Wie so oft traute man sich nicht, den Wählern die Wahrheit ins Gesicht zu sagen: Rumänen und Bulgaren sind Europäer und wir müssen für sie zahlen, auch wenn es teuer wird.“
„Bei der Erweiterung und beim Aufbau der EU wurden Fehler gemacht, die sozialen Aspekte wurden vernachlässigt. Jetzt bekommen wir die Konsequenzen zu spüren“, sagt die Politologin. Gemeint ist damit nicht nur das immer noch enorme Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Balkanländern und Westeuropa, sondern auch die Diskriminierung und Ausgrenzung, die zum Alltag der Roma in Osteuropa gehören. Denn es sind Roma wie Ibrahim Ahmed, die sich als erste auf den Weg nach Westeuropa machen, weil sie in den Heimatländern keine Perspektiven haben.
Pflegekräfte aus Rumänien sind begehrt
Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Attila Kis aus der siebenbürgischen Stadt Targu Mures ist Krankenpfleger. Doch Stellen waren rar, weil die rumänische Regierung unter Sparzwang steht und einen Einstellungsstopp in Krankenhäusern verhängte. Rund 250 Euro im Monat hätte sein Gehalt betragen. 2011 ging Kis als Praktikant nach Deutschland, nach wenigen Monaten fand er eine Stelle als Pflegekraft bei den städtischen Seniorendiensten in Mülheim an der Ruhr. „Wir brauchten dringend Arbeitskräfte, egal woher “, sagt Geschäftsführer Heinz Rinas. „Mit den neuen Mitarbeitern aus Rumänien haben wir gute Erfahrungen gemacht. Sie haben nicht nur sehr schnell Deutsch gelernt, ihre Ausbildung ist sehr gut.“
Wegen der Einschränkungen durften bislang nur manche Bulgaren und Rumänen in Deutschland arbeiten. Hochschulabsolventen, Selbstständige und einige Arbeitnehmerkategorien sind bereits seit Jahren völlig freizügig. Bei anderen Berufsgruppen mussten die Arbeitgeber einen Antrag bei der Arbeitsagentur stellen und nachweisen, dass es keinen anderen geeigneten Kandidaten gibt.
Hinzu kommt, dass diese Regelung umgangen werden konnte, in dem sich die rumänischen und bulgarischen Bürger selbstständig machten. Rumänen und Bulgaren, die nach Deutschland wollten, haben dies schon längst getan. Spätestens nach drei Jahren Aufenthalt standen ihnen dann die gleichen Rechte wie anderen EU-Bürgern zu.