Große Koalition setzt auf Annäherung an Moskau
Zuletzt geriet der Petersburger Dialog Mitte November wegen Geldproblemen in die Schlagzeilen. Bedenken bezüglich Finanzierung und Sinnhaftigkeit der deutsch-russischen Begegnung sind nicht neu. Doch wenn an diesem Mittwoch Vertreter der Zivilgesellschaft beider Länder in Kassel zum 13. Mal zusammentreffen, dürften sie erleichtert sein. Die künftige Bundesregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zu dem Gesprächsforum und plant eine „Weiterentwicklung“.
In dem 185 Seiten starken Vertrag, dem die SPD-Basis noch zustimmen muss, plant die Regierung „vielfältige Bemühungen um eine Verbreiterung und Vertiefung der Beziehungen auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene“. Überhaupt räumt der Koalitionsvertrag den Beziehungen zu Russland bemerkenswert viel Platz ein. Auf fast einer Seite sind die Vorstellungen der Großen Koalition unter dem Titel „Offener Dialog und breitere Zusammenarbeit mit Russland“ umrissen. Experten in Deutschland und Russland sind erfreut, sie erwarten eine Verbesserung der Beziehungen.
Denn die waren in der Vergangenheit stark abgekühlt. Tiefpunkt war vor einem Jahr die Kritik der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und den Grünen, die in einer Resolution ungewohnt deutlich die Menschenrechtslage in Russland anprangerten. Die Regierung in Moskau reagierte verärgert. Anschließend trugen die Durchsuchungen deutscher politischer Stiftungen in Russland und der Streit um Beutekunst während einer Ausstellungseröffnung in St. Petersburg nicht gerade zur Entspannung bei.
Es sei für Union und SPD klar gewesen, „substanziell zu Russland Stellung zu nehmen“, erklärt Andreas Schockenhoff, CDU-Bundestagsabgeordneter und seit 2006 Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Die Regierung wolle den mit der Bundestagsresolution eingeschlagenen Weg fortsetzen: „Ausgestreckte Hand, aber auch Kritik dort, wo sie uns politisch notwendig erscheint“, erläutert Schockenhoff. „Russland ist gefordert, rechtsstaatliche und demokratische Standards einzuhalten, zu denen sich Russland auch international verpflichtet hat. Das gilt auch für die Einhaltung der WTO-Verpflichtungen“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Vor allem die SPD setzt auf „Kooperation statt Konfrontation“
Das sieht auch SPD-Außenexperte Gernot Erler so: „Deutschland ist an guten und freundschaftlichen Beziehungen zu Russland interessiert und wünscht sich Russland als einen modernen und kooperativen Partner.“ Dabei steht Erlers Partei meist für einen zurückhaltenderen Kurs gegenüber Moskau. Im Wahlkampf hatte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Ansicht verbreitet, Kritik solle „in bilateralen Gesprächen und nicht auf dem Marktplatz“ geäußert werden. In den Koalitionsverhandlungen verhinderte die SPD nun die eine oder kritische Formulierung im Vertrag. Der Union sei es nicht gelungen, „sich mit ihrer Forderung nach einer Verschärfung der Politik gegenüber Russland durchzusetzen“ , kommentiert der außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Rolf Mützenich. Seine Partei setze auf Kooperation statt Konfrontation.
Das lässt zwar nicht auf eine Kehrtwende in der bisherigen Russlandpolitik schließen, aber auf eine gewisse Neuausrichtung. Nach dem diplomatischen Frost des vergangenen Jahres wird nun Tauwetter erwartet. Freuen dürfte das vor allem die deutsche Wirtschaft, die mit gut 6.000 Unternehmen in Russland vertreten ist. Sie begrüßt zudem, dass die Koalitionäre eine „weitere Liberalisierung der Visaregelungen“ in ihren Vertrag geschrieben haben.
Die Bundesregierung plant darüber hinaus, „die Russland- und Osteuropa-Kompetenz in Deutschland auf eine solide Grundlage“ zu stellen. Die wissenschaftlich-analytische Expertise soll gestärkt werden. Seit Jahren lobbyiert die Gesellschaft für Osteuropakunde für ein Osteuropa-Forschungsinstitut. Nun könnte es bald soweit sein.
Russland hofft auf einen Außenminister Steinmeier
Moskau hofft derweil auf eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Erwartungen werden vor allem an die mögliche Rückkehr von Frank-Walter Steinmeier ins Amt des Außenministers geknüpft. Die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ kommentierte: Steinmeier sei „zweifellos viel bekannter und kompetenter als sein Vorgänger“.