„Wir sind hier beheimatet“
„Das war wie ein Blitz vom Himmel“, erinnert sich Heinrich Zertik an den Morgen nach der Bundestagswahl. Schließlich hatte er es als erster Russlanddeutscher geschafft, in das Parlament einzuziehen – über die nordrhein-westfälische Landesliste für die CDU. „Ich bekam Anrufe aus der ganzen Welt“, schildert der Diplompsychologe die vielen Glückwünsche, die ihn seither erreichten. „Sogar Heinrich der Erste wurde ich schon genannt“, sagt der Abgeordnete, der im grauen Anzug eher unauffällig und zurückhaltend wirkt.
Für die Spätaussiedler ist Zertiks Wahl ein wichtiges Signal, denn die Bevölkerungsgruppe mit rund 2,5 Millionen Menschen ist politisch bislang wenig repräsentiert. „Die Russlanddeutschen haben sich von der Politik ferngehalten“, sagt auch Zertik. Den Grund dafür sieht er vor allem in der sowjetischen Diktatur-Erfahrung. Er versucht dafür zu werben, dass seine Landsleute sich stärker engagieren: „Es ist hier nicht so wie in der Sowjetunion, hier ist Demokratie und jeder Bürger hat das Recht, sich einzubringen.“
Eine wichtige Klientel
Der 1957 geborene Zertik wuchs als Angehöriger der deutschen Minderheit in Südkasachstan auf und gehört damit zur ersten Einwanderer-Generation aus der Sowjetunion. Zu Hause sprach die Familie deutsch mit jenem schwäbisch anmutenden altdeutschen Dialekt, der Zertiks Aussprache bis heute färbt. Seine Eltern stammten aus dem ukrainischen Dnepropetrowsk und hatten 1941 als Kinder die gewaltsame Deportation unter Stalin erlebt. In der Schule sprach Zertik wie die anderen Kinder russisch. Die christlichen Feiertage wie Ostern und Weihnachten feierte die Familie lieber heimlich, um den sowjetischen Funktionären nicht aufzufallen.
Zertik wanderte 1989 mit der Familie nach Deutschland aus. Seither ist er im Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen zu Hause. In der CDU ist er seit 23 Jahren aktiv und gut vernetzt. Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), begrüßt die Wahl: „Das ist eine wirkliche Bereicherung für die Arbeit, die mir wichtig ist.“ Bergner betont, dass er seit Jahren darauf drängt, dass die Russlanddeutschen stärker politisch vertreten seien müssten. Alle Parteien sollten stärker um diese Klientel werben.
Zertik fühlt sich nicht integriert, sondern beheimatet
Auch in den Landtagen sind bisher nur zwei russlanddeutsche Abgeordnete vertreten. In Hamburg wurde der CDU-Politiker Nikolaus Haufler 2011 Mitglied der Bürgerschaft. In Bremen zog die Sozialpädagogin Valentina Tuchel (SPD) ebenfalls 2011 in die Bürgerschaft ein und engagiert sich heute in der Integrationspolitik.
Zertik betont, dass er als Angehöriger einer deutschen Minderheit einen anderen Bezug zu Deutschland hat als beispielsweise türkische Zuwanderer: „Wir haben uns nicht integriert, sondern uns beheimatet“, beschreibt er den Unterschied. „Die CDU bekennt sich zum Deutschtum und zur deutschen Kultur, was andere Parteien übersehen.“ Fragt man Zertik, ob er sich auch außenpolitisch als Brückenbauer nach Russland oder Kasachstan engagieren will, schüttelt er den Kopf. Er sieht seine politischen Aufgaben allein in Deutschland.