Bulgarien

Bulgariens Flüchtlinge

Auf dem Platz zwischen Banja Bashi-Moschee und dem historischen Stadtbad in Sofia sitzen seit kurzem Araber und Schwarzafrikaner in Grüppchen zusammen. Für die Bewohner der bulgarischen Hauptstadt ist das ein ungewohnter Anblick, viele Bulgaren kennen Immigranten bisher nur von Reisen ins benachbarte Griechenland. Nun ist das Land selbst mit den Flüchtlingen konfrontiert. In manchen bulgarischen Städten gab es bereits Protestdemonstrationen gegen die Einrichtung von Flüchtlingslagern. Andere Bulgaren zeigen Verständnis und Hilfsbereitschaft, spenden Kleidung und Lebensmittel.

Immer mehr Flüchtlinge kommen über die Türkei nach Bulgarien. Die meisten von ihnen aus Syrien, aber auch aus Afghanistan, dem Irak und afrikanischen Ländern wie Mali. 4.569 Flüchtlinge zählt die staatliche bulgarische Agentur für Flüchtlinge (DAB) allein in diesem Jahr, das sind mehr als vier mal so viele wie in vergangenen Jahren. Früher kamen 1.000 Flüchtlinge pro Jahr, jetzt sind es 100 pro Tag. Die Zahlen sind im Vergleich zur Türkei, wo sich nach Angaben des UN-Flüchtlingskomissariats (UNHCR) derzeit mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aufhält, relativ gering. Die Regierung und manche Medien in Bulgarien machen aber bereits jetzt Stimmung und sehen in den Immigranten eine Gefahr für die nationale Sicherheit des Landes.


Einen Euro pro Tag für Lebensmittel

Der bulgarische Staat ist dem Andrang nicht gewachsen, er kann oder will den Zufluchtsuchenden kein menschenwürdiges Dasein gewähren. Gut 1.100 Flüchtlingen wurde die Aufnahme aus humanitären Gründen gewährt, gerademal achtzehn von ihnen wurde bisher der Flüchtlingsstatus verliehen. Insgesamt leben inzwischen rund achttausend Immigranten in Bulgarien, bis zum Jahresende könnten es elftausend sein, erwartet Innenminister Tsvetlin Iovtschev.

Die Regierung zahlt den Flüchtlingen 65 Lewa pro Monat, also rund einen Euro pro Tag, damit sie sich Lebensmittel kaufen können. Die sozialistisch geführte Regierung von Ministerpräsident Plamen Oreschanski fordert Finanzhilfen von der Europäischen Union, um mit der Situation fertig zu werden. Innenminister Tsvetlin Iovtschev kündigte gleichzeitg an, für fünf Millionen Euro einen Zaun an der grünen Grenze zur Türkei errichten zu wollen, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen.

Das Flüchtlingsheim am Rande des Bezirks Ovtscha Kuppel ist das größte von drei Lagern in Sofia. Über tausend Menschen leben hier. In den Fenstern hängt Kleidung zum Trocknen, die Räume sind eng. „Zwei Dutzend Menschen hausen in einem Raum, viel zu viele müssen sich ein Bad teilen“, sagt Mahmoud Faruk. Der Endfünfziger ist vor einigen Monaten aus Syrien über die Türkei nach Bulgarien gekommen und lebt inzwischen bei Freunden.


Die Heime sind überfüllt

Noch schlechter als in Ovtscha Kuppel sind die Lebensbedingungen in früheren Schulgebäuden in den Sofioter Randbezirken Vraschdebna und Voina Rampa, die Ende September eilig zu Flüchtlingsheimen umfunkioniert wurden. Vom Bulgarischen Fernsehen mit versteckter Kamera gefilmte Szenen zeigen leckende Wasserrohre und defekte Toiletten. Zwar beteuert die Staatliche Agentur für Flüchtlinge (DAB), inwischen Eilrepataruren an sanitären Anlagen und Heizung vorgenommen zu haben. Die Lebensverhälntisse für die Flüchtlinge bleiben aber prekär. Offiziellen DAB-Angabben zufolge sind die Heime bereits zu zwanzig Prozent überbelegt.

„Die Behörden arbeiten sehr langsam“, sagt Faruk. Wenn er die nötigen Dokumente zusammenhat, will er nach London zu Verwandten ziehen. In Bulgarien, dem ärmsten Land der EU, sieht er keine Perspektive. 85 Prozent der Flüchtlinge wollen Umfragen der Flüchtlingsagentur zufolge Bulgarien so schnell wie möglich Richtung Westen verlassen.


Die Regierung will einen Zaun bauen

„Wir wollen die Prozedur der Statusverleihung von jetzt fünf Monaten auf 21 Tage verkürzen“, verspricht Nikolai Tscherpanliev, der Chef der Flüchtlingsagentur. Doch nicht einmal er weiß, wo die Neuankömmlinge untergebracht werden sollen. „Die Regierung muss entscheiden, wo Flüchtlingsheime eingerichtet werden können“, sagt er nur. Der Winter steht vor der Tür, die Lage für die Flüchtlinge wird sich also wohl weiter verschlechtern.

In einem Offenen Brief an Innenminister Iovtschev hat das Bulgarische Helsinki-Komitee (BHK) gegen dessen Pläne eines Zauns an der türkischen Grenze und geschlossenen Anstalten zur Verwahrung von Flüchtlingen protestiert. Scharf kritisierten die Menschenrechlter zudem Iovtschevs erklärte Absicht, von den syrischen Flüchtlingen Fingerabdrücke zu nehmen und an die syrische Botschaft weiterzugeben: „Die Weitergabe jeglicher Daten an Vertreter der Behörden des Landes, aus dem Menschen fliehen und in Bulgarien Zuflucht suchen, stellt eine grobe Verletzung aller Normen des Menschenrechts, internationaler Schutzstandards und unserer eigenen Gesetze dar“, heißt es in dem vom BHK-Vorsitzenden Krassimir Kanev unterzeichneten Offenen Brief, der in Kopie auch an das UNHCR ging.


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