Rückkehr zur Atomkraft
Jozsef Bordacs hat es sich in einem Sessel neben der Wohnküche bequem gemacht. Gerade ist er von der Arbeit gekommen, er wirkt entspannt. „Das Atomkraftwerk ist der beste Arbeitgeber in der Region“, sagt der 41-Jährige. „Und was die Sicherheit angeht, so hat es keinerlei schädliche Wirkung auf die Stadt und die Umwelt.“ Seine Frau Monika, 39, pflichtet ihm bei. „Atomenergie ist billig und schadet der Umwelt weniger als konventionelle Wärmekraftwerke.“
Paks, eine Kleinstadt in Zentralungarn, schön gelegen an der Donau, 20.000 Einwohner. Jeder Einheimische kennt sie. Der Name des Ortes ist ein Synonym für das Atomkraftwerk, das hier steht – das einzige des Landes: vier sowjetische Druckwasserreaktoren mit 2000 Megawatt Gesamtleistung, 1983 in Betrieb genommen. Zusammen erzeugen sie 40 Prozent des ungarischen Strombedarfs.
Angestellte verdienen das Doppelte des ungarischen Durchschnittslohns
Jozsef und Monika Bordacs leben mit ihren beiden Kindern komfortabel: Einfamilienhaus, sechs Zimmer, großes Grundstück am ruhigen Ortsrand. Jozsef Bordacs arbeitet seit 16 Jahren im Atomkraftwerk, der Gebäudetechniker ist Kontrolleur für bauliche Instandhaltung. Seine Frau Monika unterrichtet Geographie und Geschichte an einer Oberschule mit dem Fachprofil Energie und Kraftwerkstechnik.
Ähnlich wie die Familie Bordacs leben und denken viele Menschen im Atomstädtchen Paks. Etwa 2.500 Einwohner, rund ein Drittel aller Arbeitskräfte im Ort, sind im Atomkraftwerk angestellt und verdienen im Schnitt 1.200 Euro im Monat – ungefähr das Doppelte des ungarischen Durchschnittslohnes. Kein Wunder, dass die Zustimmung zur Atomenergie in Paks hoch ist.
Doch auch anderswo im Land stehen die Ungarn der Atomenergie positiv gegenüber, eine nennenswerte Bewegung gegen Atomkraft gab und gibt es nicht. Selbst die in tief verfeindete Lager gespaltene politische Klasse ist sich in Energiefragen weitgehend einig: Die Atomenergie soll ausgebaut werden. Ungarn will die vier Blöcke in Paks modernisieren, ihre Laufzeit verlängern und voraussichtlich zwei neue Blöcke bauen.
Sicherheit und Endlagerung bleiben offene Fragen
Ungarn liegt damit im Trend der gesamten Region. Vom Baltikum bis Bulgarien setzen fast alle Länder des ehemaligen Ostblocks auf Atomenergie. In Litauen und Polen ist die Bevölkerung zwar eher gegen Atomkraft, beide Länder erwägen dennoch den Bau von Atomkraftwerken. In Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien gibt es zum Teil konkrete Ausbaupläne für neue Reaktoren, eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet das.
Erst Mitte Oktober (14.10.) bekräftigten die Ministerpräsidenten der Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn bei einem gemeinsamen Treffen noch einmal ihre Pro-Atomenergie-Haltung und forderten die EU zugleich auf, keine Atomenergie-Richtlinie zu verabschieden. Welche Primärenergiequellen ein Land nutze, dürfe nicht in Brüssel entschieden werden, erklärten die Regierungschefs.
In Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien hatten die derzeit laufenden Atomkraftwerke in der Vergangenheit immer wieder Sicherheitsprobleme, das bulgarische Atomkraftwerk Kozloduj gilt nach dem 2009 abgeschalteten litauischen Ignalina als gefährlichster Meiler der osteuropäischen EU-Länder. Selbst im als sicher geltenden Paks gab es 2003 einen ernsthaften Störfall. Zudem ist in fast allen Ländern der Region die Frage der Atommüllendlagerung nicht geklärt.
„Es fehlt der politische Wille, neue Energie ernst zu nehmen“
Nicht nur deshalb halten Energieexperten die einseitige Orientierung an der Atomenergie in den osteuropäischen Ländern für problematisch. „Wir sind für eine Nachhaltigkeit des ungarischen Energiesystems und dafür, dass informierte Menschen auf europäische Weise darüber diskutieren und entscheiden“, sagt Ada Amon, die Vorsitzende des sogenannten Budapester Energieklubs, einer NGO, die sich für alternative Energien einsetzt. „Leider fehlt der politische Wille, neue Energie-Technologien ernst zu nehmen.“ Der Regierungssprecher Ferenc Kumin kontert: „Natürlich werden die erneuerbaren Energien gemäß unseren EU-Verpflichtungen bis 2020 ausgebaut, sie sollen dann einen Anteil von 20 Prozent haben.“
In Paks wird erneuerbare Energie auf absehbare Zeit kaum eine Rolle spielen. Das Vertrauen in die Atomtechnologie scheint bei den meisten Menschen im Ort unbegrenzt zu sein – auch an der Oberschule für Energie und Kraftwerkstechnik. Hier lernt Peter Racz, 21, geboren und aufgewachsen in der Stadt. Schon seine Großmutter und seine Eltern haben im Atomkraftwerk gearbeitet, er möchte diese Tradition fortführen. Gerade absolviert er einen Schweißer-Kurs, im kommenden Jahr will er sich für ein Ingenieurstudium anmelden. Er hofft, dass er später im Atomkraftwerk einen Job für Hochqualifizierte bekommt.
Dass die Mehrheit der Deutschen keine Atomenergie mehr will, versteht Peter Racz nicht. „Diese Technologie wird immer genutzt werden, sie ist sicher und schafft viele Arbeitsplätze“, sagt er. „Haben die Deutschen denn eine Idee, wie sie ihre Energieversorgung sichern? Ich denke, es gibt nichts besseres als Atomenergie.“