Leere Tribünen bei Leichtathletik-WM in Moskau
Pünktlich zur Leihathletik-WM ist der Hochsommer nach Moskau zurückgekehrt. Während einigen Sportlern zu Beginn des Wettkampfes im Luschniki-Stadion die hohen Temperaturen zu schaffen machten, beklagten andere eine unterkühlte Atmosphäre in der riesigen Betonschüssel am Ufer der Moskwa. Die Tribünen blieben bislang meist erschreckend leer.
Fast leere Stadien
Dabei hatte man die Stadionkapazität von mehr als 80.000 auf knapp 50.000 Plätze reduziert. Es half wenig: Zehnkämpfer Michael Schrader fühlte sich zu Beginn seines Wettkampfes zunächst wie bei einer Trainingseinheit. „Da waren vielleicht 20 Leute und es wurde kaum geklatscht“, sagte er der ARD. „Die Stimmung ist echt mies.“ Dennoch gewann er die Silber. Auch der Amerikaner Aries Merritt, Olympiasieger über 110-Meter-Hürdenlauf, war unglücklich darüber, in einem „fast leeren Stadion zu rennen“. Der jamaikanische Hürdenläufer Felix Sanchez klagte: „Es hat keine Atmosphäre.“ Der Unterschied zwischen den Olympischen Spielen in London und der Weltmeisterschaft in Moskau sei „wie Tag und Nacht“. Und Sprint-Star Usain Bolt wunderte sich russischen Medienberichten zufolge außerdem über die ernsten Russen: „Ich kam in die Aufwärmzone und niemand hat gelächelt“, berichtete er.
In Moskau messen sich so viele Spitzenathleten, wie seit den Olympischen Spielen 1980 nicht mehr. Doch die meisten Russen interessiert das kaum. In Moskau gab es wenig Werbung für das Sportevent. Schon im Vorfeld gab es Kritik am schleppenden Kartenverkauf, obwohl Tickets günstig sind. Zu Beginn der WM verkündete der Weltleichtathletikverband IAAF, immerhin 80 Prozent der Tickets verkauft zu haben. Die Hälfte der Karten soll jedoch an Sponsoren gegangen sein, hieß es.
Sergej Bubka, IAAF-Vize-Präsident glaubte, dass viele Moskauer bei dem Sommerwetter lieber auf die Datscha, ihr Landhaus, gefahren seien. Vermutlich hätten Interessierte zwar Tickets gekauft, seien aber dann nicht ins Stadion gekommen. „Ich hoffe wir lösen dieses Problem, denn für die Athleten sind die Zuschauer am wichtigsten“, sagte er mit Blick auf die verbleibenden Tage. Der ukrainische Zehnkämpfer Alexej Kasjanow hatte eine weitere Erklärung für das Desinteresse der Moskauer: Leichtathletik, sagte er, sei in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nicht sehr bekannt.
Die WM ist wichtig für die Wirtschaft
Selbst Präsident Wladimir Putin blickte bei der Eröffnungszeremonie auf zum Teil leere Ränge. Es dürfte ihm kaum gefallen haben. Schließlich ist die Leichtathletik-WM erst der Auftakt zu einem von Putin initiierten Meisterschafts-Marathon. Im kommenden Februar beginnen die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Im Oktober darauf soll in der Küstenstadt am Schwarzen Meer erstmals die Formel-1 für einen Grand Prix in Russland gastieren. In Kasan tragen 2015 tragen die weltbesten Schwimmer ihre Meisterschaft aus. 2016 messen sich die stärksten Eishockeynationen in Moskau und St. Petersburg. Höhepunkt des sportlichen Fünfjahresplans ist die Fußball-Weltmeisterschaft 2018.
Das sportbegeisterte Russland baut sich selbst eine Bühne, auf der es sich von seiner besten Seite präsentieren möchte. Das ist besonders wichtig, um die Wirtschaft anzukurbeln: Putin sprach mit Blick auf die Fußball-WM kürzlich von einem „großen Bau-Projekt“: es fehlt an Straßen, Flughäfen und Hotels. Russlands viel beschworene Modernisierung kommt jedoch nur langsam voran, ausländische Investoren zögern aufgrund von Zollhürden, Bürokratie und Korruption.
Bereits während der Leichtathletik-WM sind alle Augen auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi gerichtet. Dort lief der Kartenverkauf offenbar ebenfalls nicht rund. Zwar seien Tickets für Topveranstaltungen wie Eröffnungszeremonie, Abschlussfeier und Eishockey-Finale begehrt. Bei früheren Olympischen Spielen hätten sich die Karten jedoch schneller verkauft, heißt es aus offiziellen Kreisen. Dabei sind fast zwei Drittel der Russen einer Umfrage der unabhängigen Meinungsforscher des Lewada-Zentrums zufolge stolz auf die Winterolympiade im eigenen Land.
Auch der Vorverkauf für Sotschi läuft schleppend
Die Vorbereitungen der Spiele stehen hingegen seit Jahren in der Kritik. Die Organisation Human Rights prangert die Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigranten an, ebenso wie Umweltsünden, Zwangsräumungen und Einschüchterungen. „Aktivisten und Journalisten so lange zu belästigen, bis sie schweigen, ist falsch und befleckt das Image der Olympischen Spiele nur noch mehr“, kritisierte Jane Buchanan, stellvertretende Direktorin der Europaabteilung der Organisation.
Die Kosten summieren sich derweil auf mehr als 37 Milliarden Euro – vier Mal so viel wie ursprünglich geplant. Das Sportspektakel in den Subtropen dürft als teuerstes Olympiade in die Geschichte eingehen.
Ein Großteil des Geldes verschwand in dunklen Kanälen. Die Regierungskritiker Boris Nemzow und Leonid Martynjuk beklagen einen „monströsen Betrug“. Aufträge für Sportstätten seien ohne öffentliche Ausschreibung vergeben worden – so seien 19 bis 23 Milliarden Euro veruntreut worden, heißt es in ihrem Bericht. „Nur Oligarchen und Unternehmen mit Verbindungen zu Putin wurden reich“, kommentierte Nemzow.
Jetzt überschattet auch noch die Diskussion über das umstrittenen Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ die Spiele am Schwarzen Meer. Nachdem das Internationale Olympische Komitee zunächst mitteilte, Moskau wolle die Regeln außer Kraft setzen, erklärte Sportminister Witalij Mutko inzwischen, das Gesetz gelte uneingeschränkt. Ein gutes halbes Jahr ist es noch hin, bis das olympische Feuer in Sotschi entzündet wird. Erste Stimmen fordern bereits einen Boykott der Spiele.