Russland

Großbaustelle Sotschi

Sotschi ist eine Baustelle. Überall wird gehämmert, gebohrt und gemörtelt. Mit 145 Kilometern ist Sotschi die längste Stadt Europas. Momentan braucht man mit dem Bus zwei Stunden vom Zentrum zum Olympia-Park. Für die Olympischen Winterspiele 2014 ist die Infrastruktur die größte Herausforderung, weshalb die Bewohner seit Jahren unter Staus, Staub und Lärm leiden.

Das erste Hotel, das im Olympia-Park im vergangenen November eingeweiht wurde, ist das „Radisson Blu“. Das Fünf-Sterne-Haus ist das offizielle IOC-Hotel. Direktor ist der 48-jährige Thomas Hagemann, ein Deutscher. Bald wird er in Sotschi fünf Hotels verantworten – drei sind bereits fertig, zwei weitere in Vorbereitung. „Man kann Woche für Woche sehen, wie ein Gebäude nach dem anderen fertig wird“, schwärmt er.


Die teuersten Spiele aller Zeiten

Es bleibt noch genau ein halbes Jahr bis zum Eröffnungsfest am 7. Februar 2014. Und da Präsident Wladimir Putin die Spiele zur Chefsache erklärt hat, müssen es die besten aller Zeiten werden. Seiner Meinung nach ist es „eine Frage der Ehre“, dass die Spiele „professionell und festlich“ verlaufen. Sogar das umstrittene Anti-Homosexuellen-Gesetz, das positive Äußerungen über Homosexualität in Russland verbietet, will Putin während der Spiele nicht anwenden.

Doch die Bewohner von Sotschi haben andere Sorgen. Früher dominierten Häuser mit maximal fünf Etagen das Stadtbild, heute ragen überall Hochhausrümpfe in die Höhe, die für Unmut sorgen. So auch bei Wladimir Kimajew. Für den Umweltschützer sind die Winterspiele eine Tragödie: „Viele Grünflächen sind verschwunden, stattdessen baut man überall diese Glas-Beton-Klötze hin – ich verstehe das nicht.“

Die Spiele werden umgerechnet 40 Milliarden Euro verschlingen, 30 Milliarden mehr als anfangs veranschlagt. Selbst die bombastischen Sommerspiele in Peking 2008 waren mit 30 Milliarden Euro billiger. Die sogenannten Olympischen Objekte sind bereits fertig, bis auf das Olympia-Stadion, in dem Eröffnungs- und die Abschlussfeier stattfinden soll. In den zehn anderen Stadien und Hallen wurden bereits Testläufe und internationale Wettbewerbe ausgetragen.


Der Bulldozer zerstört Eigenheime

Die russische Regierung will Sotschi zum internationalen Sport-Ressort ummodeln. In der Curling-Halle, dem Skating-Center, dem Eispalast, den Eis-Arenen, dem Snowboard-Park, dem Biathlon-Zentrum und auf der Bob- und Rodelbahn sollen künftig russische Olympioniken trainieren.

Auch benötigt werden: viele neue Hotelzimmer. Die Rede ist von 42.000 Betten. Deshalb werden im Zentrum der 450.000-Einwohner-Stadt mehr als 20 neue Hotels gebaut. Der 55-jährige Andrej Martenew hatte auf dem Gelände des Olympia-Parks ein Haus gekauft. Wegen „Formfehlern“ wurde es abgerissen, seit Januar wohnt er mit seiner Frau in einem ehemaligen Sowjetbunker auf acht Quadratmetern. So wie ihnen geht es vielen Familien: Rund 2.000 Einwohner wurden wegen der Spiele umgesiedelt. Eine Entschädigung gab es nicht. „Am schlimmsten war der Tag, an dem die Bulldozer angerückt sind“, erinnert sich Martenew.

Martenew geht wie vielen hier nicht in den Kopf, warum man Olympische Winterspiele ausgerechnet in den Subtropen veranstalten muss. Doch genau darum geht es: Dass es in Sotschi beides gibt, Meer und Berge, und dass man die Welt zum Staunen bringen will, indem man beides kombiniert. Reiche Russen sollen künftig zum Skifahren nicht mehr nach Kitzbühel fahren, sondern an der Schwarzmeerküste ohne Skianzug die Piste hinunterbrettern. Im April ist es in den Bergen null Grad kalt, im Tal dagegen schon zehn Grad wärmer.

Bekannt war der Kurort Sotschi bislang für seine Sanatorien. Von den zu Stalins Zeiten gegründeten ehemaligen Arbeiter-Erholungstempeln sind heute viele renovierungsbedürftig. Hamlet Watjan leitet das 1935 erbaute Sanatorium „Goldene Ähre“. Der Umbau der Anlage dauert nun schon fünf Jahre. Zwei Gebäude wurden bereits renoviert, eines abgerissen, eines befindet sich noch im Bau, neun Stockwerke wird es am Ende haben. „Bei uns werden Vertreter der Hauptsponsoren übernachten“, sagt der 64-jährige Watjan. Gesamtkosten des Umbaus: rund 20 Millionen Euro.


Weitere Artikel