Nachwuchsjournalisten mit besonderen Kompetenzen
Julia Manukjan möchte Nachrichtenredakteurin werden und als solche aus der ganzen Welt berichten. Seit vier Jahren studiert die 21jährige Journalistik in Rostow-am-Don. Zwei Semester lernte sie in Amerika nahezu perfekt englisch und nun - gerade zurückgekehrt - will sie ihre Deutsch-Kenntnisse vertiefen. Die Armenierin interessiert sich für Menschen und verschiedene Kulturen und deshalb auch für Sprachen. So begründet sie auch ihre Neugier auf Deutschland und das dortige Mediensystem. Ein Aushang an der Journalistischen Fakultät mit der Überschrift “Einzigartige Chance” war für sie der Anlass, sich für den neuen Studiengang zu bewerben, mit Erfolg. Gemeinsam mit 30 Kommilitonen bestand sie Anfang Oktober die Aufnahmeprüfung. Schon eine Woche später startete der Unterricht am Freien Russisch-Deutschen Institut für Publizistik (FRDIP) der Staatlichen Universität Rostow-am-Don, einem Gemeinschaftsprojekt deutscher und russischer Partner. Julia Manukjan hofft, ihre eigene berufliche Perspektive durch den zweiten Studiengang zu verbessern. Denn in Rostow-am-Don ist der Bedarf an Nachwuchsjournalisten und PR-Spezialisten begrenzt. Jedes Jahr drängen rund einhundert Absolventen auf den regionalen Arbeitsmarkt, mehr als tatsächlich gebraucht werden.
“Die Verbesserung der Berufschancen ist das oberste Ziel des neuen Institutes.”, so der deutsche Geschäftsführer des FRDIP, Werner D’Inka, der hauptberuflich als Chef vom Dienst bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung arbeitet, darüber hinaus ehrenamtlich gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Fördervereines den Aufbau und die Organisation des Institutes vorantreibt und der schließlich auch selber als Gastdozent Vorlesungen über journalistische Genres halten wird. Das dreijährige Zusatzstudium solle den angehenden Journalisten einen Blick über den Tellerrand hinaus ermöglichen und ihren Horizont erweitern. Den kritischen Blick angehender russischer Journalisten oder Fachleuten für Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Werbung zu schärfen, aber auch umgekehrt den Deutschen durch die geplanten Austauschprogramme, russische Praktikanten in deutschen Redaktionen und die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern beider Länder tiefere Kenntnisse der russische Gesellschaft zu vermitteln, das soll in den nächsten Jahren gelingen. Der russische Direktor des FRDIP und zugleich Dekan der Rostower Fakultät für Philologie und Journalistik, Eugen Kornilov, erwartet, dass das Institut hervorragend qualifizierte Korrespondenten für deutsche und russische Medien hervorbringen wird, für ihn kleine aber wichtige Schritte des Aufeinanderzugehens von Ost- und Westeuropa.
Die Ausbildung ist in “vier Säulen” gegliedert: Kommunikationswissenschaft, Redaktionelle Praxis, Sachwissen über politische sowie Rechts- und Wirtschafssysteme und die Vermittlung der Deutschen Sprache. Außerdem stehen Englisch und Latein auf dem Stundenplan. Das Ausbildungsprogramm ist an deutschen Universitätsstandards vergleichbarer publizistischer oder journalistischer Studiengänge orientiert. In 16 Wochenstunden werden im ersten Studienjahr kommunikationswissenschaftliche Grundlagen vermittelt: die journalistischen Genres, Mediengeschichte, moderne Forschungsmethoden und Internationale Massenmedien sind inhaltliche Schwerpunkte der ersten Semester. In den folgenden zwei Jahren werden Internationales Medienrecht, PR und Marketing, Redaktionsmanagement und die praktische Ausbildung, wie zum Beispiel das Interview- und Schreibtraining unterrichtet. Für die Erstsemestler sind das hohe Anforderungen und noch weit entfernte Ziele. Zunächst müssen die meisten von ihnen das nötige Fachdeutsch pauken. Das Doppelstudium nötigt ihnen beträchtliche organisatorische Leistungen ab, denn die festen Stundenpläne zweier Studiengänge sind in der Regel nicht kompatibel. Und die Anwesenheit ist in jedem Studium Pflicht. Unterricht an sechs Tagen in der Woche, Hausaufgaben, Tests, Klausuren und journalistische Nebentätigkeiten bei regionalen Zeitungen oder Internetprojekten garantieren ein Arbeitspensum, das Ehrgeiz und besonderen Fleiß voraussetzt. Ihre Motivation beziehen die Studenten aus den Perspektiven, die die zweifache Ausbildung bietet. Alle hoffen auf ein Praktikum in deutschen Medien, manche spekulieren auf die Chance, aus Deutschland für russische Medien zu berichten. Die Gründer des Institutes aber legen Wert darauf, die künftigen Wissenschaftler und Journalisten nicht ihrer Heimat abzuwerben, sondern sie zusätzlich für ihre Arbeit in Russland zu qualifizieren.
Die Idee, auch eine deutsch-russische Ausbildungsstätte jenseits der russischen Hauptstadt zu gründen, resultierte aus der Erfolgsbilanz des Moskauer FRDIP. Anfang der neunziger Jahre finanzierte die Europäische Union den Aufbau dieses Institutes, weitere Sponsoren kamen hinzu. Die Journalistik-Studenten haben dort schon seit acht Jahren die Möglichkeit, während eines Praktikums oder sogar eines Volontariats in deutschen Medien ihr theoretisches Wissen in der Praxis anzuwenden. Die Unterrichtssprache ist ebenso, bis auf wenige Ausnahmen, deutsch, die Sprachkompetenz also ein zusätzlicher Bonus bei der Jobsuche nach Abschluss der dreijährigen Ausbildung. ”Alle Moskauer Absolventen haben eine Arbeit im Journalismus oder im PR-Bereich gefunden, manche bei Niederlassungen deutscher Unternehmen, zum Beispiel beim Burda-Verlag oder der dpa.”, so D’Inka.
Die Vorbereitungen für den Aufbau des Rostower FRDIP begannen vor rund einem Jahr. Aufgabe des deutschen Geschäftsführers war es, auch für das zweite Institut dieser Art in Deutschland um Sponsorengelder zu werben. Die Robert-Bosch-Stiftung konnte als Geldgeber für die ersten drei Jahre gewonnen werden. 150 000 Euro investiert die auf Aus- und Weiterbildungsprojekte in Osteuropa spezialisierte Unternehmensstiftung in das Institut, zusätzlich finanziert sie einen qualifizierten deutschen Lektor, der am Rostower Institut als Muttersprachler vor allem journalistisches Handwerkszeug vermittelt. Herzstück der Ausbildung sind Gastvorlesungen ausgesuchter Dozenten und Professoren aus dem wissenschaftlichen Bereich der Publizistik, aber auch Praktiker - also Journalisten sowie Marketing- und PR-Experten, die für ihre Vorlesungen überwiegend aus Deutschland aber auch aus Moskau und Sankt Petersburg eingeflogen werden.
Vorraussetzung für das kostenlose Zusatzstudium ist allein die erfolgreiche Teilnahme an einer Aufnahmeprüfung, in der die Sprachkenntnisse und ein besonderes Wissen und Interesse an Deutschland schriftlich und mündlich getestet werden. Die Prüfungsanforderungen und die Benotung sind dem deutschen System angeglichen. Das Studium ist offen für Studenten aller Fakultäten. Angehende Lehrer, Philologen, Musik- und Verwaltungswissenschaftler versammeln sich schon jetzt im ersten Studienjahr am FDRIP. Sie können bestenfalls nach dem erfolgreichen Abschluss zweier Studiengänge ihren Beruf auswählen. Für die Mehrheit der FRDIP-Studenten, die der journalistischen Fakultät, sind die Neulinge eine willkommene Bereicherung.
Kostenlos ist die Ausbildung nur für Russen und Deutsche, ausländische Teilnehmer müssen Studiengebühren bezahlen. Für den ersten Kurs gab es allerdings bislang nur Bewerber aus Russland. Im Ausland ist das Institut noch nicht bekannt, die Kommunikationsstrukturen befinden sich im Aufbau, eine Internet-Homepage des FRDIP Rostow ist aber geplant. Ehrgeizige Pläne gibt es auch hinsichtlich der Gründung weiterer deutsch-russischer Publizistikinstitute. Interesse haben bereits die Journalistischen Fakultäten des Städte Ekatarinburg, Irkutsk und Sankt Petersburg angemeldet.