Ungarn

Fannys Lächeln

An ihrem 5. Todestag ließ sich Fanny Hozleiter ein Smiley auf die Innenseite ihres Handgelenks tätowieren. 23 Jahre alt war die Ungarin damals. Nach Meinung der Ärzte hätte ihr Leben schon mit der Volljährigkeit vorbei sein sollen. Als die heute 25-Jährige eineinhalb Jahre alt war, wurde bei ihr eine Form von Muskelschwund diagnostiziert. Eigentlich dürfte es sie gar nicht mehr geben.

Fanny aber ist präsent. Und die zierliche junge Frau mit dem breiten Lächeln und den langen, dunkelblonden Haaren ist aktiv. An jedem Geburtstag feiert Fanny deswegen jeden der ihr einst vorausgesagten „Todestage“. An diesem Tag denkt sich immer etwas Verrücktes aus: Sie fuhr mit ihrem elektrischen Rollstuhl auf der Rolltreppe, färbte sich die Haare bunt, kletterte auf Berge und einmal hat sie sich auch betrunken.

Und Fanny hat ein Blog gegründet. „Die Welt mit dem Rollstuhl“ heißt er und wurde 2012 in Ungarn als „Golden Blog“ ausgezeichnet, einem Wettbewerb des führenden Wirtschaftsmagazins HVG. Bis zu 70.000 Leute lesen Fannys populäre Blogeinträge. Sie tritt im Fernsehen auf, spricht im Radio, hält Vorträge in Schulen, in allen möglichen ungarischen Print- und Onlinemedien wurde über sie berichtet. Zu zahlreichen Veranstaltungen im ganzen Land wird sie als Moderatorin eingeladen. „In erster Linie aber bin ich Autorin“, stellt Fanny Hozleiter klar. „Mosolyka“ nennt sie sich auf ihrem Blog. „Mosoly“ heißt übersetzt Lächeln. Sie will die Menschen vor allem zum Lachen bringen.


Nach 15 Jahren wieder auf eigenen Beinen stehen

Unter dem tätowierten Lächeln an ihrem Handgelenk hat sich Fanny Hozleiter auch den Buchstaben „B“ stechen lassen. Er steht für Orte und Personen, die in ihrem Leben von Bedeutung sind. Dazu gehört auch der Name einer Journalistin, die half, Fannys mediale Karriere zu starten. Und ihrer Krankheit womöglich noch einige weitere Lebensjahre abzutrotzen.

Vor drei Jahren sparte sie für eine Stammzellentherapie im chinesischen Peking. Fünf Millionen Forint musste sie dafür aufbringen, umgerechnet etwa 17.000 Euro. Eine utopische Summe. Das Interesse an ihrer Krankheit war gering. „Niemand wollte sich mit dem Thema beschäftigen“, bedauert sie. Doch nach ihren Auftritten in den Medien kam das Geld durch Spenden zusammen. Sie konnte für einen Monat nach China fahren. Und die Therapie schlug an. „Zum ersten Mal nach 15 Jahren konnte ich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen“, erzählt sie.

Bis dahin schrieb Fanny ihren Blog in erster Linie für Freunde und Bekannte. Mit dem wachsenden öffentlichen Interesse an ihrer Person stieg auch die Zahl der Leser. „Damals habe ich verstanden, dass nicht nur ich auf Hilfe angewiesen bin, sondern dass ich selbst anderen Menschen helfen und ihnen Mut in scheinbar ausweglosen Lebenslagen geben kann“, erzählt Fanny. Also dachte sie sich eine Aktion aus: Bei ihren öffentlichen Terminen verteilt sie Bohnensamen. Da sie schnell wachsen, sollen die Menschen sie einpflanzen und mit ihnen ihre Wünsche verbinden. „Natürlich ist die Aktion nur symbolisch, aber sie soll den Leuten zeigen, dass Träume genauso wie Bohnen Stück für Stück wachsen können. Denn oft geben die Menschen vor dem letzten Schritt ihre Ziele auf“, sagt Fanny.


90 Prozent Arbeitslosigkeit

Etwa 460.000 Menschen in Ungarn leben mit einer Behinderung. Die Arbeitslosigkeit unter ihnen beträgt 90 Prozent. „Im EU-Vergleich ist die Lage von Behinderten in Ungarn sehr schlecht“, sagt Mihály Derera. Der 59-Jährige ist der Direktor von „Meosz“, dem Ungarischen Verband gehbehinderter Menschen. Staatliche Unterstützung gibt es kaum. In den ersten drei Jahren nach einem Unfall bekomme man laut Derera noch 50.000 Forint monatliche Unterstützung, weniger als 200 Euro, danach nichts mehr. Finanzielle Unterstützung vom Staat für Rollstühle kann man nur alle sechs Jahre beantragen. Wenn jemand aus der Reha kommt, ist er größtenteils auf sich allein gestellt. Zwar bekommen Firmen einen staatlichen Zuschuss, wenn sie Behinderte beschäftigen, „aber der geht Jahr für Jahr zurück und läuft nach vier Jahren komplett aus“, so Derera. Eine Art der positiven Diskriminierung bei der Jobvergabe gibt es nicht.

Die politische Entwicklung in seinem Heimatland, speziell was die Lage von behinderten Menschen angeht, betrachtet er mit Sorge. „Bei politischen Entscheidungsprozessen werden Behindertenvertreter überhaupt nicht einbezogen“, kritisiert Derera. „Alle Verpflichtungen für Barrierefreiheit wurden ohne Begründung aus dem Gesetz genommen, dabei haben die Leute noch nicht verstanden, dass es sich bei Bewegungsfreiheit um ein Grundrecht handelt.“ Derera benutzt gern ein Beispiel, um die Mentalität seiner Landsleute zu verdeutlichen: „Wenn man in Österreich drei Minuten im Rollstuhl vor einer Kirche steht, fragen drei Leute, ob sie helfen können – in Ungarn drücken sie dir ein Münzstück in die Hand.“


Das Ziel ist San Francisco

Initiativen, um die Situation von Menschen mit einer Behinderung zu verbessern, kommen in erster Linie von Privatpersonen, die keine Lust mehr haben, auf bessere Zeiten zu warten. Von Menschen wie Fanny.

„Ich will mich für andere einsetzen“, sagt die Bloggerin. Die Worte „Ennek így...“ (sinngemäß: „So ist es“) hat sie auf ihr anderes Handgelenk tätowiert. „Es bedeutet, dass es für alles einen bestimmten Grund gibt.“

Sie selbst schmiedet bereits Pläne für die Zukunft. Gerne hätte sie eigene Kinder. Biologisch sei das möglich. Einen festen Freund hat sie derzeit aber nicht – „jedenfalls nicht offiziell“, lacht sie.

In diesem Jahr möchte sie zudem nach San Francisco reisen. Zu einer weiteren Stammzellentherapie. Fanny hat sich in ihrem Leben eingerichtet, arbeitet als Betreuerin in einer Kindereinrichtung und plant neue Projekte. Ein Buch soll entstehen, in dem sie ihre Erlebnisse und unterhaltsame Momente festhalten will. Außerdem hat sie eine weitere ironische Aktion angeschoben: „Da die Leute mich eh ständig anstarren, habe ich meine Rollstuhllehne auch schon mal als Werbefläche vermietet.“


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