Aserbaidschan

„Feindfunk“ aus Berlin

Knapp ein Jahr, nachdem sich Aserbaidschans Regime während des Euro Vision Song Contests als weltoffen darstellen wollte, kocht in der Regierungszeitung „Vesti.az“ die Wut hoch: eine „anti-aserbaidschanischen Kampagne im großen Stil“ werde von Deutschland aus gestartet. Auslöser für die Wut in Baku ist ein Fernsehsender aus Berlin: „Meydan TV“ schickt seit Mitte Mai per Satellit unabhängige Berichte über Aserbaidschan und seine Diaspora direkt nach Baku. 

Gemacht wird das aserbaidschanische Programm von sechs Oppositionellen, die unter Präsident Ilham Alijew wegen kritischen Texten und unabhängigen Berichten bedroht wurden, im Gefängnis saßen, fliehen mussten oder des Landes verwiesen wurden.

„Meydan“ steht für „Platz“. Genau so verstehen die Fernsehmacher ihre Arbeit: Sie wollen über Themen berichten, über die im staatlichen Fernsehen nicht gesprochen wird. Das Spektrum reicht von aktueller Politik bis zur neusten aserbaidschanischen Underground-Musik. „Wir haben im Land eine Menge kultureller und religiöser Gruppen mit unterschiedlichsten politischen Vorstellungen“, sagt Emin Milli, einer der bekanntesten Blogger Aserbaidschans und Geschäftsführer des neuen Senders. „Aber eines haben sie alle gemeinsam: Den Wunsch nach freier Berichterstattung.“


Bürgerjournalisten gegen Korruption

Aserbaidschan wird seit 2003 von Präsident Ilham Alijew regiert. Vor ihm lenkte sein Vater zehn Jahre das muslimisch geprägte Land am Fuße des Kaukasus, das so groß ist wie Bayern und Thüringen zusammen. Jährlich werden mit dem Export von Öl und Gas mehrere Milliarden Euro erwirtschaftet, von denen nur ein Bruchteil bei der Bevölkerung ankommt. Korruption und unterdrückte Meinungsfreiheit sind ständige Begleiter des neuen Reichtums am Kaspischen Meer. Auch darum geht es bei „Meydan TV“.

Emin Milli ist einer der sechs Fernsehmacher, die nun jeden Mittwochabend aus Berlin senden. Sie setzen dabei auf ein dichtes Netz an Informanten von New York über Mexico-City, von London bis Moskau. Doch noch wichtiger sind die Meldungen aus Aserbaidschan selbst. Dabei arbeitet „Meydan TV“ mit Bürgerjournalisten zusammen: Augenzeugen liefern selbst aus kleinsten Ortschaften ungefilterte Nachrichten. „Die werden durch mehrere Quellen geprüft und erst dann ins Netz gestellt“, versichert Milli.


Blogger unter Polizeischutz

„Meydan TV“ sehen Aserbaidschaner rund um den Globus. „Schon jetzt haben wir 3.500 feste Zuschauer im Internet“, erklärt der 34-Jährige, der wegen eines Satire-Videos über korrupte Politiker 15 Monate im Gefängnis saß. Er und seine Mitstreiter sind in ganz Aserbaidschan bekannt. Rockstar Jamal Ali wurde noch während des Eurovision Song Contests 2012 im Gefängnis gefoltert, Blogger Habib Muntezir steht bei öffentlichen Auftritten in Berlin unter Polizeischutz. Sie alle sind wahre Größen im Internet. „Wenn Muntezir ein Video online stellt, hat er sofort hunderttausende Zuschauer“, meint Milli. Muntezirs Videos haben auf Youtube eine halbe Million Klicks, manche deutlich mehr. 46.000 Abonnenten wollen regelmäßig hören, was er zu sagen hat. „Eine riesige Zahl für Aserbaidschan.“

Mit diesem Popularitäts-Bonus rechnet „Meydan TV“ auch, wenn es um die finanzielle Zukunft der Redaktion geht: Einen Monat lang haben Milli und Muntezir in 18 deutschen Städten um Unterstützung gebeten. Ein Spendenkonto ist eingerichtet. Dabei sind 18.000 Euro für Büro, Ausrüstung und drei Monate Gebühr für den Sattelitenbetreiber Turksat zusammengekommen. Doch das Rückgrat ihres Senders sind die Menschen Zuhause. Von den offiziell gut neun Millionen Aserbaidschanern haben laut Regierung 65 Prozent Zugang zum Internet, fast alle haben Satellit. „Wir erwarten mindestens drei Millionen Zuschauer. Leute, die sonst nichts kennen, außer Regierungsfernsehen“, so Fernsehdirektor Milli. „Und wir liefern eine Qualität, die es im aserbaidschanischen Fernsehen so nicht gibt.“


Ein Agent in Baku

„Das Konzept des freien Fernsehens ist eine Gefahr für jedes Regime: Das Internet können sie blockieren, aber ein Satellit ist nicht zu stoppen“, sagt Milli. Dass „Meydan TV“ sich aus rein privaten Spenden finanziert, will die Regierung in Baku nicht glauben. Sie vermutet, dass die deutsche Regierung dem Sender hilft.

Entsprechend aggressiv fällt die Reaktion aus Baku aus: Die Regierungszeitung „Vesti.az“ sieht im deutschen Botschafter Herbert Quelle – seit 2010 in Baku – einen Diplomaten, der „alles unternimmt, die deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen zu stören“. Im verschwörerischen Stil eines Agentenromans fragt der anonyme Autor: „Was für eine Mission treibt ihn nach Baku? Welche Lügen schickt er nach Berlin?“ Das Auswärtige Amt wies die Vorwürfe zurück. Gleichzeitig berichtet der staatliche Sender az.tv live aus Frankfurt über Drogen, Prostitution, Rassismus und grassierenden Hunger. „Absurd“ nennte Milli das. 

Unterdessen schneidet Habib Muntezir diese Berichte zusammen und stellt sie ins Internet. „Das ist exzellent für den Satire-Teil unserer einstündigen Sendung“, schmunzelt Emin Milli. „Darüber können die Leute wirklich lachen.“


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