Neues jüdisches Museum in Warschau
„Juden sind in Polen nicht nur gestorben, sie haben hier gelebt“, sagt Zbigniew Stepinski. „In diesem Land haben sie gearbeitet, geweint, gelacht und ihre Kultur gepflegt. Und das fast 1.000 Jahre lang“. Stepinski ist stellvertretender Leiter des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau. Das Museum öffnet am 70. Jahrestag des Ghetto-Aufstandes von 1943 zum ersten Mal seine Tore.
Wegen finanzieller Probleme wurde die Eröffnung des Museums immer wieder verschoben. Die Besucher dürfen nun endlich hinein, laufen aber durch überwiegend leere Hallen: Die erste Ausstellung über das jüdische Leben in Polen in der Zwischenkriegszeit wird erst ab dem 18. Mai zu sehen sein – kurz nach dem Jahrestag der Niederschlagung des Ghettoaufstandes. Im kommenden Frühjahr wird dann die Dauerausstellung eröffnet.
Der Neubau steht mitten im ehemaligen Ghetto
Die Entscheidung für das Museum fiel bereits 2005. Damals gab der damalige Bürgermeister Warschaus, Lech Kaczynski, das letzte unbebaute Grundstück im ehemaligen jüdischen Viertel frei. Die Ausschreibung gewannen die finnischen Architekten Rainera Mahlamäki und Ilmari Landelmy. Nach ihren Plänen ist ein quaderförmiger Bau entstanden, dessen Fassade Glaspanelen abdecken, in die „Polin“ graviert ist: der hebräische Name für Polen. Eine Halle teilt das gesamte Gebäude, sie steht symbolisch für die jüdische Geschichte.
Mit 80 Millionen Euro Investitionssumme ist es der größte Museumsneubau der letzten Jahre in Polen. Die wichtigsten Geldgeber sind der Staat, die Stadt Warschau, das Jüdische Historische Institut sowie Spender aus dem In- und Ausland.
Der Museumsneubau steht mitten im ehemaligen Ghetto. Durch ein riesiges Fenster ist das Ehrenmal zu sehen, vor dem Willi Brandt 1970 niederkniete. Dennoch wird der Holocaust nicht das dominierende Thema sein. Der Kontrast zwischen der historischen Stätte und dem Schwerpunkt des Museums soll für den Sieg des Lebens über das Martyrium und den Tod stehen. „Wir wollen als Symbol des Lebens und nicht des Todes gesehen werden“, sagt Vize-Direktor Stepinski.
Zur jüdisch-polnischen Geschichte gehört auch der Antisemitismus
Die rund 13.000 Quadratmeter werden eine Dauer- und zahlreiche Sonderausstellungen beherbergen. Neun „Galerien“ behandeln entscheidende Phasen der Geschichte der polnischen Juden behandelt. Nur eine der Galerien wird sich mit dem Holocaust beschäftigen und stellvertretend dafür das Leben im Warschauer Ghetto zeigen.
Das jüdische Leben in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg wird in Polen bislang kaum wahrgenommen. Dabei lebten hier vor dem Krieg 3,5 Millionen Juden. Die knapp 400.000 Juden Warschaus machten ein Drittel der Stadtbevölkerung aus und waren damit Europas größte jüdische Gemeinde und nach New York die zweitgrößte der Welt.
In zahleichen kleineren Städten auf dem heutigen Gebiet Polens und anderer osteuropäischer Staaten stellten Juden die Mehrheit der Bevölkerung. Allein in Polen gab es 170 jüdische Zeitungen, die in Jiddisch, Hebräisch und Polnische erschienen und 15 jüdische Theater. In Polen wurden Spielfilme in Jiddisch gedreht, die später auch weltweit ausgestrahlt wurden.
Zur jüdisch-polnischen Geschichte gehört allerdings auch der Antisemitismus. Diesen nicht auszusparen, „verlangt von uns Professionalität“, sagt Stepinski. Auf der einen Seite halfen viele Polen ihren jüdischen Mitbürgern, obwohl die Nationalsozialisten jegliche Hilfe mit dem Tod bestraften. Es gab aber auch Polen, die ihre jüdischen Mitbürger an die Deutschen auslieferten.
Auch ein „Symbol des Sieges“
Der Historiker Tomasz Gross, der mit seinen Büchern das erste Mal eine breite Öffentlichkeit mit diesen Themen konfrontiert hat, sagt: „Im Gegensatz zu anderen Ländern Ostmitteleuropas, die immer noch darüber schweigen, stellt sich Polen beiden Seiten der Geschichte“. Bildungsarbeit und Aufklärung sollen das Museum zu einem Ort der offenen Debatte machen. Schon vor der Eröffnung besuchten 2.000 junge Israelis das Museum und absolvierten Workshops, um vor ihrem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz mehr über das Leben ihrer Vorfahren zu lernen.
„Ich sehe das Museum als Mahnmal für diejenigen, die umgekommen sind. Aber auch als Symbol des Sieges“, sagt Stepinski. „Im Holocaust sollte die Tradition und Kultur der polnischen Juden zerstört werden. Aber sie hat überlebt und wird wiederbelebt. Das wollen wir zeigen.“