Osteuropa-Boom auf der Berlinale
ostpol: Osteuropäische Filme waren lange die Stiefkinder auf der Berlinale. In diesem Jahr sind gleich fünf im Wettbewerb und auch in den anderen Sektionen sind zahlreiche Filmemacher aus Osteuropa vertreten, etwa aus Georgien, Russland, Kasachstan und Rumänien. Woran liegt das?
Bernd Buder: Der osteuropäische Film hat zu einer besonderen Qualität gefunden, die gut ins Programm der Berlinale passt. Außerdem gibt es bei der Programmgestaltung immer eine Gewichtung. Man schaut nicht nur auf ein Regionalprogram, sondern achtet darauf, was im Programm inhaltlich vertreten ist und was zusammenpasst.
Was ist der Grund für die gestiegene Qualität?
Buder: Einerseits hat sich eine neue Generation von Filmemachern durchgesetzt. Sie haben vor fünf bis sechs Jahren ihre Erstlingsfilme gedreht, sich damit auf kleineren Festivals etabliert und werden inzwischen auch stark gefördert. Andererseits ist Osteuropa eine Region, die viele interessante Themen freisetzt, die danach schreien, filmisch umgesetzt und kommentiert zu werden. Das ist sowohl bedingt durch die gesellschaftlichen Umwälzungen, die bis hinein in die Familien reichen, wie auch durch die politische Situation.
Der Bosnier Danis Tanovic hat es erneut ins Bären-Rennen geschafft. Trotzdem kennen nur Cineasten seinen Namen oder den des Georgiers Zaza Rusadze, dessen Film „A fold in my blanket“ in der Sektion „Panorama“ läuft. Wieso schaffen es sogar Oscar-prämierte Regisseure wie Tanovic nicht, sich dauerhaft ins Gedächtnis des Publikums einzubrennen?
Buder: Das liegt am Image. Osteuropa bestimmen immer noch Klischees wie Krieg, Wodka, Gewalt, Düsternis, da findet sich nur schwer ein Publikum. Danis Tanovic könnte durch seinen Auslands-Oscar-Gewinn für das Kriegsdrama „No man‘s land“ im Jahr 2002 auch dem normalen Publikum ein Begriff sein. Aber bei Namen wie Zaza Rusadze fängt es schon an: Außerhalb der Branche dürfte er vollkommen unbekannt sein. Ich denke aber, wenn er jetzt den Eröffnungsfilm im „Panorama“ der Berlinale hat, dann kann er zu einer Entdeckung für das größere Publikum werden.
Wer den Begriff „osteuropäischer Film“ hört, denkt sofort an sehr düstere und lange Filme, deren Protagonisten meist sehr große Probleme haben...
Buder: Osteuropa ist ja eine große Region, und es gibt dort auch ganz unterschiedliche Ausdrucksformen. Es gibt die Tradition, dass man Themen langsam und meditativ bearbeitet. Aber es geht auch anders, wie bei Nana Ekwtimischwilis „In Bloom“, der im „Forum“ gezeigt wird. Das ist eine Coming-of-age-Geschichte, die sich zwar um sehr existentielle Fragen dreht, aber mit einer gewissen Leichtigkeit erzählt wird. Osteuropa hat ja nicht selten einen Hang zur Komödie – dann allerdings zur schwarzen Komödie.
Gibt es mehr als 20 Jahre nach den politischen Umbrüchen überhaupt noch so etwas wie den „osteuropäischen Film“?
Buder: Ich glaube das nicht. Einige Länder aus dem ehemaligen sozialistischen Lager sind mittlerweile in der EU, andere wiederum nicht. Auch gibt es innerhalb Osteuropas starke Divergenzen wie den Richtungsstreit in der Ukraine oder auch kriegerische Auseinandersetzungen. Insofern sind die politischen und gesellschaftlichen Ausgangs-, Förder-, und Kooperationssituationen sehr unterschiedlich. Das führt natürlich dazu, dass sich der osteuropäische Film in verschiedene Richtungen entwickelt. Aber ich glaube auch nicht, dass man früher von dem osteuropäischen Film sprechen konnte.
Sondern?
Buder: Es gab immer nationale Besonderheiten. Früher hat man aber auch das Kino in einer Form von Lagerdenken wahrgenommen. Heute wird man den einzelnen Filmländern gerechter. Regisseure, die ähnlich gefördert und ausgebildet werden, neigen zu einer ähnlichen Handschrift. Und weil es viele regionale und nationale Koproduktionen gibt, entwickelt sich dann eher so etwas wie eine regionale Filmsprache.