„Endlösung” für Roma gefordert
Es klingt wie eine Aufforderung zur „Endlösung der Zigeunerfrage“. „Ein bedeutender Teil der Zigeuner ist nicht geeignet, unter Menschen zu leben. Sie sind Tiere“, schrieb der bekannte ungarische Rechtsaußen-Publizist Zsolt Bayer Anfang Januar in einem Kommentar für die Zeitung Magyar Hirlap. Anlass war eine Messerstecherei in der Silvesternacht, die mutmaßlichen Täter, so kolportierten es rechte Medien, Roma. „Diese Tiere sollen nicht sein dürfen. In keiner Weise“, schrieb Bayer weiter. „Das muss gelöst werden – sofort und egal wie.“
Der Autor ist ein Freund von Viktor Orban
Der 49-jährige ist kein beliebiger ungarischer Neonazi, sondern Mitbegründer der Regierungspartei „Bund Junger Demokraten“ (Fidesz), ihr ehemaliger Pressechef und ein guter Freund des Ministerpräsidenten Viktor Orban. Heute funktionslos, organisiert er für die Partei die so genannten „Friedensmärsche“ mit. Bei einem derartigen Marsch vor einem Jahr, so besagt die Fidesz-Mythologie, hätten die anwesenden 100.000 Menschen unter den Slogans „Hände weg von Ungarn!“ und: „Wir werden keine Kolonie sein!“ verhindert, dass die EU Viktor Orban wegputsche.
Bayer verfasst seit Jahren antiziganistische und antisemitische Hasstiraden und Mordaufrufe, die immer wieder für Empörung sorgen. Die Fidesz-Parteiführung allerdings schwieg bisher zu seiner Publizistik. Doch nach dem jüngsten Artikel, gegen den Roma-Organisationen und jüdische Gemeinden in Ungarn protestiert hatten, forderte der Verwaltungs- und Justizminister Tibor Navracsics den Ausschluß Bayers aus der Partei.
Orban reagiert zurückhaltend
Es ist bereits das zweite Mal in den vergangenen Wochen, dass sich einzelne prominente Fidesz-Politiker klar von Rassenhass abgrenzen. Anfang Dezember hatte der Fidesz-Fraktionschef Antal Rogan auf einer Demonstration gegen Antisemitismus gesprochen, nachdem ein Abgeordneter der rechtsextremen Jobbik-Partei im Parlament gefordert hatte, die „in Ungarn lebenden Juden in Listen zu erfassen“ und zu prüfen, „welche Juden, insbesondere im Parlament und in der Regierung“, ein „Sicherheitsrisiko“ für Ungarn darstellten.
Zwar erließ Fidesz daraufhin eine Regelung, derzufolge rassistische Wortmeldungen im Parlament mit Geldstrafen belegt werden können. Wohl auch unter innen- und außenpolitischem Druck. Neben großer Empörung in Ungarn lösten die Vorfälle auch im Ausland Proteste aus: Ende vergangenen Jahres schrieben 150 europäische Politiker einen Brief an den Staatschef Janos Ader, in dem sie vom ungarischen Staat ein entschiedeneres Auftreten gegen Jobbik forderten. Bayers Endlösungspublizistik bezeichnete die EU-Kommissarin Viviane Reding als „völlig inakzeptabel“.
Es geht um die Wähler
Doch Fidesz-Kritiker bezweifeln, dass die Partei sich vom Rechtsaußen-Lager dauerhaft abgrenzen wird. „Die linken Wähler laufen Fidesz wegen der restriktiven Sozialpolitik davon, deshalb braucht die Partei die rechten Wähler“, sagt der Schriftsteller György Dalos. „Sie wird sie auch weiterhin mit der entsprechenden Rethorik an sich binden.“
Vor allem der Regierungschef Viktor Orban hat seinen öffentlichen Diskurs seit langem immer weiter nach rechtsaußen verlagert. Das gipfelte im September letzten Jahres in einer Blut-und-Boden-Rede anlässlich der Einweihung eines Denkmals des Vogels Turul, der die ungarischen Stämme im 9. Jahrhundert ins Karpatenbecken geführt haben soll. Orban hatte damals gesagt: „Das Urbild des Turul-Vogels ist das Urbild der Ungarn. Es gehört zum Blut und zur Heimat. Wir, die Ungarn des nationalen Zusammenhaltes, müssen alle Uneinigkeit aus dem ungarischen Leben herausdrängen. Die starken Nationen halten zusammen, die schwachen zersplittern.“ Von Rechtsextremismus und Rassenwahn grenzt sich Orban hingegen höchstens in allgemeiner, vager Form ab.
Ausschluss-Forderungen bleiben wohl folgenlos
Zwar gebe es in einigen Teilen des Fidesz eine aufrichtige Empörung über Rechtsextremismus, sagt der Politologe Attila Tibor Nagy vom Budapester Méltanyosság-Institut. „Aber dieser Teil, der einen klareren proeuropäischen Kurs will, ist in der Partei im Augenblick nicht entscheidend.“
Deshalb wird wohl auch die Forderung des als einflusslos geltenden Justizministers Tibor Navracsics nach einem Ausschluss Zsolt Bayers aus der Partei folgenlos bleiben. Das stellte die Fidesz-Sprecherin Gabriella Selmeczi am vergangenen Montag im Fernsehsender ATV klar. Bayer habe in dem inkriminierten Artikel seine Meinung als Publizist und nicht als Fidesz-Mitglied geäußert, so Selmeczi, deshalb vertrete die Partei dazu keinen Standpunkt.