Russland

Kaliningrader Straßenkampf

Für Inna und Dmitri Wischemirski vergeht kein Feierabend, an dem das Paar nicht noch rasch eine Runde vor der eigenen Haustür dreht. Die 40-jährige Inna schlägt ihren Mantelkragen hoch, um sich gegen den eisigen Wind zu schützen, während ihr Mann Dmitry das gebrochene Licht auf dem historischen Kopfsteinpflaster der Uliza Krasnaja fotografiert.


Die Straße ist ihr Leben

Ihr ganzes Leben haben die beiden in dieser Straße verbracht, im Zentrum von Kaliningrad, dem einstigen Königsberg. Damals vor dem Zweiten Weltkrieg habe sie noch „Schlotterstraße“ geheißen, erzählen Inna und Dmitry. Sie genießen jenen Geist der vergangenen deutschen Zeit. „Früher waren sogar die Bürgersteige mit Steinen gepflastert“, lacht Inna und hüpft kurz auf einem Bein. „Das waren kleine Rhomben, wie ich sie in Deutschland gesehen habe.“

Dima hält inne, nachdem er ein Foto von seiner lachenden Frau gemacht hat. Diese Straße sei der wichtigste Ort in seinem Leben, sagt er. „Hier habe ich meine Kindheit verbracht, hier habe ich Inna kennengelernt. Hier fühle ich mich wohl, hier bin ich glücklich, deshalb will ich diese Straße schützen.“


Asphalt statt Kopfstein

Tatsächlich sollte das historische Kopfsteinpflaster Anfang des Jahres verschwinden. Die Stadtverwaltung von Kaliningrad wollte nahezu alle 100 historischen Straßen aufreißen und asphaltieren. Inna und Dmitry waren empört. Von Beruf Fotograf begann Dmitry die deutschen Pflaster mit seiner Kamera zu dokumentieren. Die ausgebildete Soziologin Inna zog mit einer Liste aller betroffenen Straßen durch die Stadt und sammelten Unterschriften für deren Erhalt. „Wir mussten schnell handeln, um unser deutsches Erbe zu schützen“, sagt sie. „Und wir haben einen offenen Brief in die Zeitung gesetzt: Wenn die Stadtverwaltung das Kopfsteinpflaster entfernen will, muss sie zuerst mit uns Kaliningradern reden.“

Im Internet begannen Inna und Dmitri nach Mitstreitern zu suchen und riefen auf Facebook die sogenannte „Kopfsteinpflaster Gruppe“ ins Leben. Mittlerweile melden sich dort mehr als 220 Kaliningrader zu Wort, sagt Inna. Sie beantwortet täglich Fragen im Netz oder organisiert Protestaktionen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen. Mit Erfolg. „Es gab eine Flut von Artikeln und Reportagen im Fernsehen“, sagt sie. „Die ganze Stadt hat teilgenommen. Sogar auf der Internetseite unserer Stadtverwaltung wurde viel veröffentlicht.“


Sie haben es geschafft

Der harte Aktivisten-Kern trifft sich regelmäßig in einem Café. Zum ersten Mal schauen in Kaliningrad engagierte Bürger der Stadtverwaltung auf die Finger und machen sich für die historischen Spuren deutscher Geschichte stark, freut sich Inna. „Wir Bürger müssen unseren Staat kontrollieren. Mit engagierten Leuten kann man Berge versetzen. Und ich sehe, dass genau das soeben bei uns passiert.“

Tatsächlich hatten Inna und Dmitri mit ihrem Kampf für das alte Kopfsteinpflaster Erfolg: Der Konflikt mit der Stadtverwaltung von Kaliningrad hat sich in einen Dialog gewandelt und die Asphaltierung wurde vor kurzem gestoppt. „Wir Aktivisten sind zusammen mit dem Oberbürgermeister durch die Strassen gelaufen. Er nimmt unsere Sorge um das deutsche Erbe endlich ernst.“

Deshalb wurde im Rathaus sogar ein Kulturrat gegründet, an dem auch die Aktivisten Inna und Dmitry beteiligt sind. Und schon stehen die nächsten Fragen an: Soll das preußische Königsschloss wieder aufgebaut werden oder benötigt Kaliningrad einen neu angelegten Königin Luise Park?


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