Lückenhafte Stilisierung von „Pussy Riot”
Das Punkgebet der russischen Aktivistinnen-Gruppe Pussy Riot, eingespielt von der Video-Plattform „YouTube”, sorgte im Frühjahr weltweit für Wirbel. In bunten Strick-Sturmhauben hatten sie vom Altarraum der Moskauer Erlöser-Kathedrale ihren Protest in die Welt gebrüllt: „Jungfrau Maria, heilige Muttergottes, räum Putin aus dem Weg. Räum Putin aus dem Weg, räum Putin aus dem Weg! Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen, Die ganze Gemeinde kriecht in buckelnder Verbeugung. Das Gespenst der Freiheit ist im Himmel. Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.”
Übersetzungen aus dem Englischen, nicht aus dem Russischen
Die Macher des ersten „Pussy Riot”- Buches in Deutschland haben den Text des provozierenden Liedes deshalb an den Anfang ihrer Sammlung aus Briefen und Meinungsbeiträgen gestellt. Die verwackelten Aufnahmen von der Aktion sorgten dank der Verbreitung über das Internet weltweit für Aufmerksamkeit. Auf dem Video war der Text des Punkgebets schwer zu verstehen. Aber sein Text sowie die Briefe der verhafteten Frauen erschienen bald auch in englischer Übersetzung online und bildeten die Grundlage für die amerikanische Originalausgabe des New Yorker Verlages „Feminist Press”, schreibt die Lektorin Amy Scholder. Dokumentiert werden darin unter anderem die Briefe der inhaftierten Feministinnen, die Abschlussplädoyers ihrer Anwälte, aber auch Solidaritätsadressen internationaler Künstler.
Die Zielrichtung des Buches verdeutlicht die amerikanische Lektorin in ihrem Vorwort: „Dieser radikale öffentliche Dissens und die drakonische Reaktion darauf haben uns dazu veranlasst, für die Freiheit einzutreten - für Pussy Riot und alle, die unter Korruption und einem moralisch bankrotten System leiden. Feminist Press will diese Botschaft verbreiten und verstärken und bietet in diesem Buch sowohl ein historisches Dokument als auch einen Aufruf zum Handeln.”
Kein Vorwort, keine Einordnung
Der Hamburger Nautilus-Verlag kaufte die Lizenz für die Buchrechte von „Feminist Press” und nahm die deutsche Ausgabe kurzfristig ins Programm. Deshalb ist die Textsammlung aus dem Amerikanischen übersetzt und nicht aus dem Russischen. Sich als Verleger für eine solche Übersetzung aus einer Drittsprache zu entscheiden, ist vor allem eine preiswerte Lösung. Dass die Macher dabei nach Verlagsangaben darauf verzichteten, die Übersetzungen mit den russischen Orginalquellen zu vergleichen, wirkt für ein seriöses Verlagshaus nachlässig. Dazu passt, dass der Nautilus-Verlag auf ein Vorwort verzichtet hat, dass dem deutschen Leser eine bessere Einordnung der russischen Geschehnisse ermöglicht und fehlende Hintergründe liefert.
Auch eine Würdigung der deutschen Debatte um „Pussy Riot” gibt es nicht. Schließlich löste der umstrittene Vergleich der russischen Aktivistinnen mit der RAF der ersten Generation, dem sich ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntags-Zeitung widmete, heftige Reaktionen aus. Die Anwälte von "Pussy Riot" legten beim Deutschen Presserat sogar Beschwerde gegen die Zeitung ein. Ihr Vorwurf lautete unter anderem, private Informationen und Gerüchte seien ungeprüft aus russischen Medien übernommen worden. Stattdessen beauftragte der Nautilus-Verlag die britische Bloggerin und Feministin, Laurie Penny, mit einem Vorwort, das wie eine ergebene Solidaritätsadresse an "Pussy Riot" ausfällt, wenn sie schreibt:
Pathetischer Ton statt Analyse
„Der Song Punk-Gebet ist Protest-Lyrik: ein paar Akkorde plus ein bisschen durchdringendes Gekreische über schwulen Stolz und die korrupte geheime Absprache zwischen Kirche und Staat. Schaut man sich das Filmmaterial dieses Auftritts an, wie die Pussy Riot-Frauen da in ihren leuchtenden Strickmützen und bunten Strumpfhosen auf der Kanzel der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale stehen, klopft einem das Herz bis zum Hals. Es versetzt einen nämlich in der Erinnerung weit zurück, in eine Zeit, die es vielleicht gar nicht gegeben hat - eine Zeit, als wilde Musik und mutige Frauen die Kultur vor sich selbst retten konnten."
Dieser pathetische Ton schwebt über dem ganzen Buch, dessen Texte vor allem Zeugnis einer Stilisierung der Aktivistinnen sind. Die Auswahl scheint zufällig, wie aus dem Internet gepickt, nicht aber wie eine sorgsam lektorierte Zusammenstellung. Die Verkaufserlöse des Buches sollen in einen Fond fließen, der die Verteidigung der Aktivistinnen finanziere, hat der Verlag schon angekündigt.
Um die Vermarktung läuft bereits eine Schlammschlacht
Dabei tobt um die Erlöse aus der Vermarktung von „Pussy-Riot” in Moskau längst eine schmutzige Schlammschlacht zwischen Mitgliedern der Gruppe und den inzwischen entlassenen Anwälten. Einer der Verteidiger Mark Fejgin soll das Markenzeichen auf die Firma seiner Frau eintragen haben - angeblich ohne Absprache mit den Aktivistinnen. Auf all das geht das Buch nicht ein - offenbar aus Unkenntnis der Moskauer Debatte.
Dabei verfestigt sich der Eindruck, als seien die beiden inhaftierten Frauen Nadeschda Tolokonikowa und Maria Alechina inzwischen nicht nur Opfer der russischer Justiz, sondern auch ihrer weltweiten Vermarktung. In einem verzweifelten Aufruf, der leider im Buch des Nautilus-Verlages fehlt und Anfang November auf der Internet-Seite des Radiosenders „Echo Moskau” erschien, mahnte Nadeschda Tolokonikowa aus ihrer Zelle in der Strafkolonie: „An alle! Stoppt den Streit über die Marke! Stoppt die Registrierung der Marke! Stoppt den Wahnsinn! Geld ist Staub. Wenn es jemand braucht, nehmt es. Mich interessieren Marken und Geld nicht, ich brauche Freiheit. Nicht für mich, sondern für Russland.”
Die Textsammlung wird dem Phänomen „Pussy Riot” in der vorliegenden Form nicht gerecht. Ein Buch, das die erstaunliche Ausstrahlungskraft der Feministinnen in ihrer Komplexität deutet und vor allem wirklich in den Kontext der russischen Protestbewegung gegen die Regierung Putin stellt, wird in Deutschland hoffentlich noch erscheinen.