Ungarn

Neue Einigkeit gegen Neonazis

Es sollte ein mächtiges Signal des „humanistischen und anständigen Ungarns“ werden. Jüdische Vereinigungen, Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften und demokratische Parteien hatten dazu aufgerufen, ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Neonazismus zu setzen. Doch der „historische“ Teilnehmerrekord, auf den die Veranstalter gehofft hatten, blieb aus. Nur etwa zehntausend Menschen versammelten sich am Adventssonntag auf dem Budapester Kossuth-Platz vor dem Parlament, um gegen die rechtsextreme Jobbik-Partei und ihre Forderung nach „Judenlisten“ zu protestieren.

Historisch war dafür etwas anderes: Zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten sprachen im politisch tief gespaltenen Ungarn Regierungs- und Oppositionspolitiker gemeinsam auf einer Kundgebung. „Die Rechtsextremen haben eine große Koalition zustande gebracht“, kommentierte das vielgelesene Internetportal index.hu.

Viktor Orban schweigt

Anlass für die Demonstration des Bündnisses „NEM! – Bewegung gegen Neonazis“ war eine Forderung der rechtsextremen Jobbik-Partei Anfang letzter Woche: Marton Gyöngyösi, der stellvertretende Fraktionschef der rechtsextremen Jobbik-Partei (Die Besseren), hatte bei einer Debatte über Israels Militäroffensive im Gaza-Streifen von der Regierung verlangt, alle in Ungarn lebenden Juden müssten in Listen erfasst und daraufhin überprüft werden, ob sie ein Sicherheitsrisiko für das Land darstellten, darunter vor allem jüdische Mitglieder der Regierung und des Parlamentes. Der Staatssekretär im Außenministerium, Zsolt Nemeth, hatte darauf nur knapp reagiert: Wie viele Juden in der ungarischen Regierung seien, hänge mit dem Konflikt im Nahen Osten „nicht wirklich“ zusammen.

Die Forderung der Rechtsextremen, aber auch das Schweigen der anderen anwesenden Parlamentsabgeordneten dazu, vor allem derjenigen aus der Regierungspartei „Bund Junger Demokraten“ (Fidesz), hatten in Ungarn einen Sturm der Empörung ausgelöst. Die Jobbik-Partei, die bei den Wahlen 2010 17 Prozent erhielt, kleidete ihren Antisemitismus bisher zumeist in Israel-Feindlichkeit. Mit der Forderung nach Judenlisten bekannte sie sich erstmalig offen zum Rassenwahn der Nationalsozialisten und der ungarischen Pfeilkreuzler. Der Regierungschef Viktor Orban und seine Partei wiederum pflegen seit langem eine Rechtsaußenrethorik und grenzen sich vom Rechtsextremismus nicht eindeutig ab.

Erstmals protestieren Nationalkonservative mit Sozialisten

Offenbar auch unter dem Eindruck der Proteste entschloss sich der Fidesz-Fraktionschef Antal Rogan, auf der Kundgebung am Sonntag neben dem Ex-Regierungschef Gordon Bajnai und dem Chef der Sozialistischen Partei, Attila Mesterhazy, zu sprechen. Tatsächlich verurteilte Rogan in seiner Rede die Jobbik-Partei und den Antisemitismus so scharf wie selten zuvor ein Fidesz-Politiker. „Zusammen mit Millionen vernünftiger Ungarn hängen wir dem Bösen heute ein Schild um den Hals, auf dem steht: `Wir lassen es nicht zu!´“, rief Rogán unter dem Beifall der Anwesenden.

Dem Chef der Sozialistischen Partei, Attila Mesterhazy, reichte das nicht. Er verlangte auf der Kundgebung, dass der Regierungschef Viktor Orban sich höchstpersönlich von der Jobbik-Partei abgrenzen müsse. Orban hat zu dem Judenlisten-Skandal bisher geschwiegen.

Rogans Rede war mit großer Spannung erwartet worden. Doch einen Richtungswechsel in der Fidesz-Politik bedeutet sie nach Ansicht der meisten Beobachter nicht. Als „zweigleisige Marketing-Strategie“ bezeichnet Pal Tamas, einer der prominentesten ungarischen Soziologen, Rogans Auftritt. „Einerseits zeigt Rogan den gemäßigten Radikalen in Ungarn, dass der Fidesz zwar eine radikale, aber zugleich zivilisierte Partei ist“, sagt Tamas, „anderseits präsentiert er sich dem europäischen Ausland als berechenbarer Partner für eine Zeit nach Orban.“

Rechtsextreme unbeeindruckt

Der Politologe Attila Nagy vom Budapester Meltanyossag-Institut glaubt, dass die Empörung über Rechtsextremismus in einigen Teilen des Fidesz „echt und aufrichtig“ sei. „Aber dieser Teil, der einen klareren proeuropäischen Kurs will, ist in der Partei im Augenblick nicht entscheidend“, sagt Nagy.

Die Rechtsextremen selbst gaben sich unterdessen von der gegen sie gerichteten Kundgebung völlig unbeeindruckt. In einer Stellungnahme zur Demonstration setzte die Jobbik-Partei ihr antisemitisches Delirium fort: Die „Judenstern-Kundgebung“ der „großen zionistischen Koalition“, heißt es in dem Text, habe den „ersten Adventssonntag entheiligt“.


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