Russland

Ureinwohner ohne Lobby

„Wir sollten als Ureinwohner vor allem tanzen und singen“, sagt Pawel Suljandsiga. Dem Aktivisten bereitet es Sorge, dass den russischen indigenen Völkern derzeit das wichtigste Sprachrohr fehlt. Die russischen Behörden hatten Mitte November die „Assoziation der indigenen kleinen Völker des Nordens, Sibiriens und des Fernen Ostens der Russischen Föderation“ (Raipon) aus formalen Gründen stillgelegt. Dabei arbeitet die Organisation seit 22 Jahren und vertritt landesweit rund 300.000 Menschen.

„Ich mache mir weniger Sorgen um das Schicksal von Raipon, sondern vor allem um die Zukunft der Ureinwohner“, sagt Suljandsiga, der bei einem Besuch in Berlin für deren Interessen warb. Als Vertreter des Volkes der Udegen tritt der 50-Jährige seit Jahren für die Rechte der indigenen Völker in seinem Land ein. International vertritt er die russischen Ureinwohner auch als Mitglied des Ständigen UN-Forums für indigene Angelegenheiten.

Opfer des neuen „Agentengesetzes”

„Die Lage der Ureinwohner verschlechtert sich zunehmend“, klagt Suljandsiga. Viele seien gezwungen, der Regierung ihr Land abzukaufen. „Aber die Leute sind arm und haben kein Geld.“ Das Land fiele immer häufiger an vermögende Privatpersonen oder Firmen, die die Ureinwohner dann häufig verjagten, um Gas, Öl und andere Bodenschätze auszubeuten.

Suljandsigas kleine 700-Seelen-Gemeinde gehört zu den ganz wenigen, die mit Hilfe deutscher Unterstützung ihr Land im Fernen Osten Russlands selbst erworben haben. Die Bundesregierung finanzierte mit Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein Projekt im Umfang von insgesamt 2,6 Millionen Euro in den letzten großen Urwaldgebieten des entlegenen Bikin-Tales. Hier leben auch noch kleine Bestände des vom Aussterben bedrohten Amur-Tigers.

Wachsender Rohstoffhunger als Grund

Mithilfe der Förderung konnten sich die Ureinwohner erfolgreich gegen Abholzungen wehren, weiter traditionell auf Jagd gehen und sich ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Kiefernnüssen, Beeren und Pilzen sichern. Suljandsiga hofft nun auf weitere Unterstützung aus Deutschland, auch für Raipon. Im Moment ist er ratlos, wie es weitergehen soll. Denn das neue „Agentengesetz“ für russische Nichtregierungsorganisationen könnte auch die bisherige Förderung von Raipon aus skandinavischen Ländern gefährden. Das Gesetz stuft vom Ausland unterstützte Organisationen als „Agenten“ ein und stellt diese unter strikte staatliche Kontrolle.

„Das einzige Sprachrohr der indigenen Gruppen Russlands wird mundtot und handlungsunfähig gemacht“, kritisiert Sarah Reinke die russische Regierung. Die Referentin bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Berlin arbeitet seit Jahren mit Raipon zusammen. „Die meisten sind politisch vollkommen machtlos und leben in Armut“, rügt Reinke. Raipon ist als einzige starke Lobbyorganisation in 43 Regionen verankert und dort mit Büros vertreten.

Keine Vertreter mehr bei Konferenzen

Reinke sieht im wachsenden Rohstoffhunger den wichtigsten Grund für das Vorgehen gegen Raipon. „Aus vielen dieser Gebiete kommen Erdöl und Erdgas“, sagt die Expertin. Bei einer von Greenpeace organisierten Konferenz hatte sich Raipon noch im August klar gegen Ölbohrungen in der russischen Arktis ausgesprochen. Nun blieb im November der Platz der russischen Vertreter beim Treffen des Aktischen Rates in Schweden zum ersten Mal leer. „Die indigenen Völker der russischen Arktis leben seit Jahren mit den katastrophalen Folgen der Ölforderung“, kritisierte Greenpeace das Vorgehen der russischen Behörden gegen Raipon. „Ihnen die Stimme in einem internationalen Forum zu verwehren, wird unweigerlich zu einer Zerstörung des hochsensiblen Ökosystems Arktis führen“, fürchtet die Umweltorganisation und ruft zu internationaler Solidarität mit Raipon auf.


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