Albanien

Zweifelhafte Unabhängigkeit


Eintausend Hammel sollen geschlachtet und mitten im Zentrum von Albaniens Hauptstadt Tirana gegrillt und an Passanten verteilt werden. Eingeladen zu diesem Festmahl hat Ministerpräsident Sali Berisha persönlich. Zum Nachtisch lässt er eine gigantische Torte servieren: Sie ist mit 550 Quadratmetern größer als die Flügeloberfläche einer Boing 747.

Albanien feiert am Mittwoch (28. November) mit viel Pomp 100 Jahre Unabhängigkeit vom Türkischen Reich. Das Hotel „Tirana International“, ein einstiger kommunistischer Prestigebau, ist von oben bis unten in ein blutrotes Tuch gehüllt. Darauf prangt ein schwarzer Adler mit gespreizten Federn und zwei Köpfen – die Nationalflagge Albaniens. Ein paar Straßen weiter, vor der Fassade des Parlaments, hängt ein überdimensionales Plakat mit der Gründungsurkunde des Staats.

Einfach alles in Tirana erinnert in diesen Tagen an das Jubiläum. „Fahnen und Spruchbänder wehen an allen Ecken. Alle Masten sind mit roter Folie beklebt, die Ampeln sehen aus wie Zuckerhüte“, sagt Zeqine Dule, Journalistin bei einem lokalen Radiosender. „Es ist Wahnsinn, wie viel Geld die Regierung in die Feier steckt. Das brauchen wir viel dringender für Wasserleitungen oder eine neue Krankenstation. Die sind in Tirana eine Katastrophe.“

So kritisch wie die 28-jährige Zeqine Dule sehen nur wenige Albaner die Vorbereitungen zum Fest. Den meisten gefällt der Farbenrausch. Sie freuen sich auf das Spektakel. Auch Tiranas Bürgermeister Lulzim Basha hat dafür tief in die öffentliche Kasse gegriffen. Es finden Rock-Konzerte statt, tausende CDs mit patriotischen Liedern werden verteilt. Die Opposition schätzt die Kosten auf insgesamt vier Millionen Euro. Besonders heftig kritisiert sie, dass der Schwager des Bürgermeisters den millionenschweren Auftrag zum Schmücken der Straßen bekommen hat.

Das bietet genug Stoff für politische Diskussionen. „Solche Streitereien finden die Leute interessant. Doch die Dramen des letzten Jahrhunderts sind ihnen egal. Hundert Jahre sind genug Zeit, um Bilanz zu ziehen – im Guten, wie im Schlechten“, kritisiert beispielsweise der Historiker Artan Puto.

Albaniens Geschichte ist von Monarchien und Diktaturen geprägt. Seit der Wende steckt das Land in einer „postkommunistischen Chaoskrise“, so Puto. „Es fehlt bei uns an einem kritischen Geist, der zurück blickt und analysiert, welchen Weg wir in den letzten hundert Jahren gegangen sind.“

Allein schon die Umstände, die 1912 zur Gründung Albanien führten, sind umstritten. Ausgerufen wurde der Staat von einer Handvoll Privatleute, bunt zusammengewürfelt in den Wirren des Balkankrieges. Es begann zwar eine neue Epoche, aber die Probleme blieben: Politische Gegner wanderten ins Gefängnis, eine freie Presse gab es nicht. 1939 besetzten italienische Truppen das kleine Balkanland, 1943 kamen die Deutschen. Nach dem Krieg prägte der Kommunist Enver Hoxha das Land.

Der brutale Herrscher schottete sich paranoid nach Außen ab und bewaffnete selbst kleine Kinder bis an die Zähne. 700.000 Bunker ließ Hoxa im ganzen Land verteilt bauen, um die Unabhängigkeit Albaniens zu sichern. Regimegegner ließ er verschleppen. Albanien wurde zum Armenhaus Europas.

Der Geschichtsprofessor Artan Puto beklagt, dass die Hoxha-Diktatur heute einfach verdrängt werde: „Wir haben keine Instanz, die sich mit unserer Vergangenheit beschäftigt. Weder juristisch, noch moralisch. Alles wird von der Politik vereinnahmt.“

Selbst die Wissenschaft steht unter politischem Einfluss. Premier Berisha gibt Historikern vor, wie sie über Geschichte schreiben sollen. „Das ist typisch für ein autoritäres Regime, nicht für einen demokratischen Staat“, empört sich Puto. „Die alten Eliten wurden über Nacht von treuen Anhängern der Diktatur zu Anti-Kommunisten. Heute besetzen sie hohe Posten und halten ihren autoritären Stil lebendig.“ Dass der Nationalismus auflebt, freut viele Politiker. Der Traum von „Großalbanien“ lenkt ab von den täglichen Sorgen. Lieber debattieren die Parlamentarier über Albaner in Kosovo oder Mazedonien, als etwas gegen schlechte Bildung oder ständigen Stromausfall zu tun.

Und so wird auch der nationale Feiertag zum Politikum. Die zentrale Feier findet in diesem Jahr in Tirana statt und nicht wie traditionell in Vlora, wo der albanische Staat 1912 gegründet wurde. Denn in dieser Hochburg der Sozialisten möchte sich Demokrat Sali Berisha lieber nicht blicken lassen. Sozialisten und Demokraten kämpfen im ganzen Land aggressiv um Macht. So drohen sie sich gegenseitig mit alten Geheimdienstakten und lähmen damit jegliche Reformen.

Einzig die albanische Flagge scheint Albaniens Gesellschaft zu vereinen. Sie flattert an jedem Auto, egal wer am Steuer sitzt: Demokraten oder Sozialisten, ehemalige Parteikader oder Regimegegner.


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