Asyl als letzter Ausweg
Sie gehören zum Straßenbild jeder größeren Stadt in Südosteuropa: bettelnde Roma-Kinder, Mütter mit ihren Kleinkindern auf dem Arm. Die Roma sind die Ärmsten der Armen. Sie leben meist in behelfsmäßigen Siedlungen in den Vorstädten. Oft sind es zusammengenagelte Hütten aus Holz, Blech oder Pappe ohne Strom- und Wasseranschluss und ohne Registrierung in städtischen Ämtern.
Die Roma sind seit langem das Sorgenkind der Regierungen in der Region. Ihre Armut ist Folge eines komplexen Gemischs aus sozialer Diskriminierung und eigenen Fehlern. Mit den üblichen Methoden der Sozialpolitik sind sie oft nicht zu erreichen. Nun sind sie zudem Leidtragende der aktuellen Rezession, die fast alle Balkanländer erfasst hat.
Es wird heißen: Die Roma sind schuld
Wenn nun tatsächlich, wie von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich angedroht, die Visa-Freiheit für Serbien und Mazedonien wieder aufgehoben wird, dürfte das die überall vorhandenen Konflikte zwischen den Roma und der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung weiter verschärfen. „Roma sind von der Krise besonders betroffen“, sagt Roma-Aktivist Dejan Markovic von der serbischen Agentur für Minderheitenrechte. „Die Bevölkerung kann kaum noch Geld für kleinere Jobs oder fürs Musizieren auf Veranstaltungen ausgeben, von dem viele Roma leben.“ Sollte nun auch die Visa-Freiheit eingeschränkt werden, dürften die Probleme noch zunehmen: „Die Visa-Freiheit wurde als Errungenschaft für Serbien verkauft. Sie hat Europa sehr populär gemacht. Wenn man sie nun wieder nimmt, leiden alle darunter. Dann wird es heißen, daran sind die Roma schuld“, warnt Markovic.
Auf ihrem Treffen am Donnerstag und Freitag dieser Woche diskutieren die EU-Innenminister über eine Wiedereinführung der Visapflicht für Mazedonien und Serbien. Zudem will der Bundesinnenminister ein Schnellverfahren für Asylanträge aus diesen Ländern durchsetzen. Der Grund ist der jüngste Anstieg der Asylanträge aus diesen Ländern. Auch von Menschenrechtsgruppen wird nicht bestritten, dass es in diesen Ländern keine politische Verfolgung im klassischen Sinne gibt. Tatsächlich sind es die miserablen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die sie dazu bringt, ihre Chance in Westeuropa zu suchen.
Über 90 Prozent sind arbeitslos
Statistisch ist wenig über die Roma bekannt. In Serbien gibt es laut Volkszählung gut 100.000, inoffizielle Schätzungen gehen aber von bis zu 450.000 aus. Viele leben in rund 600 meist illegalen Siedlungen, die meisten von ihnen in und um die Hauptstadt Belgrad. Knapp 50.000 von ihnen sind laut Schätzungen aus dem Kosovo geflohene Roma. In Mazedonien dürften laut Schätzungen etwas über 100.000 Roma leben.
Laut einer Weltbank-Studie werden in Serbien 60 Prozent der Roma als „sehr arm“ eingestuft, verglichen mit sechs Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Arbeitslosigkeit ist mit 90 Prozent extrem hoch. Viele halten sich nur mit Gelegenheitsjobs und der mickrigen Sozialhilfe über Wasser. Grund dafür ist auch, dass viele Roma keine Ausweise haben, nicht bei den lokalen Ämtern registriert sind, und daher keine Gesundheitsversorgung bekommen. Eines der Hauptursachen für die Isolation ist die mangelnde Schulbildung. Viele Roma-Kinder brechen die Schule vorzeitig ab, weil ihre Eltern kein Interesse haben.
Einige Projekte geben Hoffnung
Der Handel auf Nachbarschaftsmärkten ist für viele Roma eine Möglichkeit, zu überleben. In vielen Städten sammeln Roma auch wiederverwertbare Rohstoffe aus den Mülltonnen und Müllhalden. In Belgrad hat die Stadtverwaltung mit Hilfe der Osteuropabank EBRD nun ein Recyclingzentrum finanziert, in dem das informelle Abfallsammeln hygienischer ablaufen soll und besser organisiert wird. Das soll die Risiken für die Gesundheit der Arbeiter reduzieren. Das Projekt, in dem 30 Roma arbeiten, wurde im Sommer vom Europarat ausgezeichnet als Vorzeigeprojekt, das als Beispiel für die soziale Integration der Roma dienen könne. „Das Projekt ist lediglich ein Hoffnungsschimmer“, kritisiert Aktivist Zvezdan Kalmar. „Dieses zu einem Vorzeigeprojekt aufzubauschen ist nicht nur unehrlich, sondern erschwert es, für die Rechte von Roma in der Stadt zu kämpfen“. Dazu zählt vor allem der Kampf gegen den Abriss illegaler Siedlungen, der immer wieder zu Protesten führt – selbst wenn die Ersatzunterkünfte oft besser sind als die abgerissenen Siedlungen.