Russland

Pussy Riot - der Vorwurf bleibt

Am Ende fallen sie sich um den Hals, in ihrem gläsernen Käfig. Ein Ende, das überraschend ist, für die Anwälte, die Beobachter, für ihre Eltern und Freunde und Unterstützer, ja auch für die „Mädchen“ selbst. „Freispruch auf Bewährung“, sagt die Richterin am Moskauer Stadtgericht. Der Rest ihrer Worte verschwindet im Applaus, in Freudenschreien. Keine Strafkolonie, sondern die Freiheit direkt vom Gerichtssaal heraus. Zumindest für eines der „Mädchen“. Der Vorwurf aber, religiösen Hass geschürt zu haben, bleibt.

Hat sich Samuzewitsch kaufen lassen?

Die Mädchen – das sind Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch, das sind „Pussy Riot“. Die Gesichter unter bunten Häkelmasken versteckt, hatten sie im Februar dieses Jahres in der Moskauer Erlöserkathedrale die Mutter Gottes angerufen, sie möge doch Wladimir Putin – damals kurz vor seiner Wiederwahl als Präsident – vertreiben. Nicht einmal 40 Sekunden dauerte die Aktion im Altarraum der größten Kirche Russlands. Als „dämonische Tänze in bunten Kleidern“ hatten neun Gläubige die Performance beschrieben, durch die sie sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt sahen.

Die Mütter von kleinen Kindern müssen in die Strafkolonie

Im August verurteilte ein Moskauer Gericht „Pussy Riot“, die sich als feministische Künstlerinnen begreifen, zu zwei Jahren Strafkolonie – wegen Rowdytums aus religiösem Hass. Bereits vor einer Woche sollte es zur Berufungsverhandlung kommen. Auch da gab es eine überraschende Wendung: Jekaterina Samuzewitsch trennte sich von ihren Anwälten. Sie ist es auch, die an diesem regnerischen Mittwoch das Gericht auf freiem Fuß verlässt. Und schon blühen Verschwörungstheorien: Die 30-Jährige habe sich kaufen lassen, sich mit dem Staat eingelassen und so zum Bruch mit der Band geführt. Die Verurteilte selbst sagt noch in ihrem Käfig, einen solchen Bruch gäbe es nicht. „Unser Auftritt war eine politische Aktion gegen den Präsidenten, gegen die starke Verbindung zwischen Kirche und Kreml. Sollten wir Gefühle von Gläubigen verletzt haben, so entschuldige ich mich dafür“, sagt Samuzewitsch.

"Wir werden nicht schweigen", sagen die Frauen

Alle drei bitten das Gericht, das Urteil aufzulösen Auch die Anwälte, die alten und die neuen, betonen ihren weiteren Kampf. „Das ist ein politisches Urteil, und die Politik kann es so drehen und wenden, wie es ihr gerade passt“, sagt Mark Fejgin, der Anwalt der 22-jährigen Tolokonnikowa und der 24-jährigen Aljochina. Beide sind Mütter von kleinen Kindern und beide müssen nun in eine Strafkolonie. Wohin die jungen Frauen geschickt werden, ist weiterhin unklar.

Klar ist, so sagt es Jekaterina Samuzewitsch, so sagt es auch ihre neue Anwältin, so sieht es später auch Richterin Larissa Poljakowa, dass die 30-Jährige beim „Punk-Gebet“ gar nicht anwesend war. „Sie befand sich lediglich 15 Sekunden im Altarraum, versuchte, ihre Gitarre herauszuholen und wurde sogleich von einem Wachmann aus der Kirche geschmissen“, sagt Irina Chrunowa, die Anwältin. Die Tat sei somit geplant, aber nicht ausgeführt worden. „Mir fallen gleich mehrere Steine vom Herzen“, sagt Samuzewitschs Vater Stanislaw, als er aus dem Gerichtssaalgebäude tritt. „Das Urteil aber halte ich nach wie vor für falsch und ungerechtfertigt. Auch die beiden anderen Frauen gehören nicht in die Strafkolonie.“

„Wir werden nicht schweigen. Auch in Sibirien nicht. Dieses Urteil ist beschämend für das Land“, sagt Maria Aljochina im Glaskäfig. Zwei Stunden später wird sie aus dem Käfig geführt, wieder in Handschellen.


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