Ratlose Pussy-Riot-Anhänger
Die Entscheidung des Gerichts ist kaum zu hören. Als verlesen wird, dass Jekaterina Samuzewitsch beantragt, ihren Anwalt zu wechseln, ist fast nichts zu verstehen. Die Klimaanlage über den Zuschauerbänken röhrt, die Mikros auf der Richterbank verstärken nicht einen einzigen Ton. Nach nicht einmal einer Stunde endet so der erste Akt im Berufungsverfahren um die Punkband Pussy Riot.
Selbst die Anwälte sind ratlos
Für die drei Bandmitglieder Jekaterina Samuzewitsch (30), Maria Aljochina (24) und Nadeschda Tolokonnikowa (22) sollte es an diesem Montag um eine mögliche Senkung ihres Strafmaßes oder gar um Bewährung gehen. Das war jedenfalls das erklärte Ziel ihrer Anwälte, von denen sich Jekaterina Samuzewitsch nun plötzlich und völlig unerwartet nicht mehr vertreten sah. Es gebe Meinungsverschiedenheiten, begründete sie bei Gericht ihren Antrag. Worin diese Unterschiede bestehen, möchte sie nicht begründen.
Selbst ihre drei Anwälte sind ratlos, dass ihre bisherige Mandantin das Verfahren nun mit einem neuen Rechtsbeistand fortsetzen will. Sie hatten bereits am Wochenende von der Wendung erfahren. Noch am Freitag habe nichts darauf hingedeutet, dass ihre Mandantin sich einen neuen Beistand suchen will. „Wir sind verwirrt. Nun hoffe ich, dass das nur ein formaler Schritt im weiteren Prozess bleibt. Es kann allerdings auch alles komplizierter machen“, sagte Samuzewitschs bisherige Anwältin Violetta Wolkowa nach der Vertagung. „Wenn wir unsere bisherige Strategie weiter gefestigt hätten, wäre es vielleicht möglich gewesen, eine Senkung des Strafmaßes zu erreichen“, fügte ihr Kollege Mark Fejgin hinzu. Nun sei alles wieder offen.
Die Gegenseite unterstellt Pussy Riot taktisches Verhalten
Die Gegenseite unterstellt der Punkrock-Gruppe und deren Anwälten taktisches Verhalten. „Sie haben einen Anlass gesucht, um das Verfahren weiter in die Länge zu ziehen“, sagte die Anwältin Larissa Pawlowa nach dem Verfahren. Sie vertritt die Gläubigen, die sich in der Kirche verunglimpft fühlten, als die Band ihr „Punk-Gebet“ gegen Putin sang. Es gehe um Marketing für sich selbst und um Geld.
Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich gestern zahlreiche Demonstranten versammelt. Anhänger der verurteilten Künstlerinnen stülpten die bekannten Strumpfmasken über ihre Fäuste. Ein Mann verteilte Buttons. Eine alte Dame hatte den Frauen einen Brief geschrieben und dankte nach dem Verfahren der Anwältin, dass sie ihn übergeben hatte.
Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude
Dass Jekaterina Samuzewitsch einen neuen Anwalt will, nahmen auch Anhänger der Gruppe gespalten auf. „Ich verstehe das nicht. Das war doch eine kompetente Vertretung für sie“, sagte eine junge Frau vor dem Gerichtsgebäude. Ein anderer Anhänger spekulierte, dass Verwandte am Wochenende gekommen sein könnten und Samuzewitsch emotional unter Druck gesetzt hätten, nachzugeben – aus Angst. Ebenso zahlreiche Anhänger der orthodoxen Glaubensgemeinschaft hatten sich eingefunden, um ihren Unmut zu äußern. Sie halten das Urteil für richtig und wollen nicht, dass sich am Strafmaß etwas ändert. Die Berufungsverhandlung wurde auf den 10. Oktober vertagt. Bis dahin kann Samuzewitsch sich einen neuen Anwalt suchen.
Die drei Frauen waren am 17. August für ein Punkgebet verurteilt worden, das sie im Februar aus Protest gegen den damaligen Premierminister und nun wiedergewählten Präsidenten Wladimir Putin in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale aufgeführt. Das Gericht verurteilte sie zu zwei Jahren Straflager für „Rowdytum“ motiviert durch „religiösen Hass“. International wurde das Gerichtsverfahren vielfach als politisch motiviert gebrandmarkt und löste eine Solidaritätswelle aus, der sich auch prominente Musiker wie Madonna oder die Red Hot Chili Peppers anschlossen.